Neue Zürcher Zeitung (CH), 08.06.2000 Nr.132 9

Anklagen und Dementis in Sachen Lockerbie

Neu erwachtes Interesse an der iranischen Spur?

vk. Limassol, 6. Juni

Die Aussagen eines angeblich abgesprungenen hohen Geheimdienstagenten aus Iran im Fall Lockerbie haben nach einer Enthüllung im amerikanischen CBS-Fernsehen vom Sonntag ein offizielles Dementi des iranischen Geheimdienstministers Yunesi hervorgerufen. Die Selbstbezichtigungen des 32-jährigen Exiliraners namens Ahmed Behbahani sind etwa ebenso wahrscheinlich wie unwahrscheinlich, so dass sie dem berechtigten Anspruch der Hinterbliebenen des Lockerbie-Anschlags nach später Genugtuung wenig weiterhelfen dürften. Behbahani erklärte den CBS-Reportern nicht nur, er habe höchstpersönlich Ende 1988 in seiner iranischen Amtsfunktion den Bombenanschlag auf das Panam- Flugzeug über Lockerbie organisiert, sondern auch eigenhändig im Juli 1989 den iranischen Kurdenführer Gassemlou in Wien ermordet. Weiter sei Iran auch an dem Bombenattentat auf die Wohntürme der Amerikaner im saudischen Khobar von 1996 verantwortlich, und es habe den Palästinenserführer Ahmed Jibril 1994 zum Anschlag auf das jüdische Gemeindezentrum von Buenos Aires angewiesen.

«Unbekannter Agent»
Geheimdienstminister Yunesi erklärte gegenüber der Agentur Irna, einen Agenten dieses Namens habe sein Ministerium zeit des Bestehens der Islamischen Republik nie beschäftigt. Zudem widerspreche sich der Mann selbst, wenn er im Jahr 1998 zugleich wegen Spionage im Gefängnis und in leitender iranischer Beamtenstellung gewesen sein wolle. Das iranische Staatsfernsehen kommentierte, Behbahani sei ein Mitglied der Exil-Opposition Volksmujahedin; diese Organisation bestritt das. Teheran entsandte aber zugleich den stellvertretenden Aussenminister Adeli nach der Türkei, wo Behbahani vom Geheimdienst verhört wird. Dieses türkische Amt erliess eine Erklärung, wonach Behbahani gegenüber Beamten die gleichen Aussagen wie bei CBS gemacht habe; die Behauptungen ermangeln aber in den Augen Ankaras noch der Beweise. Über iranische Terrorakte in der Türkei habe er nichts berichtet. Der Iraner reiste nach der türkischen Version am 7. März illegal ins Land ein und befindet sich in einem Auffanglager für Flüchtlinge; er verlangt politisches Asyl. Die CIA verhört den Mann in der Türkei ebenfalls.

Behbahani gab an, er habe während zehn Jahren bis zum Absprung als Koordinator der Auslandoperationen des iranischen Geheimdienstes gewirkt. Das Lockerbie-Attentat fiel freilich ins Jahr 1988. Er will dafür Ahmed Jibril, den Leiter des Volksfront-Generalkommandos mit Sitz in Damaskus, angeheuert haben; für die Operation habe er, Behbahani, einige Libyer für 90 Tage in Iran im Gebrauch der entsprechenden Zeitbombe ausgebildet. Jibril bestreitet diese Anschuldigung. Die Tat habe zur Rache für den Abschuss eines iranischen Verkehrsflugzeugs über dem Persischen Golf im Juli 1988 durch die US-Flotte gedient. Behbahani war vor der Kamera in Begleitung eines zweiten iranischen Geheimagenten namens Seyed Akhbari, der sich als ehemaliger enger Mitarbeiter des früheren Geheimdienstministers Fallahian bezeichnete. Der Fall Behbahani erinnert an denjenigen des früheren stellvertretenden Geheimdienstministers Said Emami, welcher in Teheran offiziell als Urheber der Kette von Morden an Freidenkern im Herbst 1998 bezeichnet wurde und sich dann vor einem Jahr angeblich im Teheraner Gefängnis selbst umbrachte.

Zeugen zweifelhafter Glaubwürdigkeit
Falls Behbahanis Aussagen zutreffen, so wäre er ein ähnlicher Abteilungsleiter für verdeckte Mordaktionen im iranischen Geheimdienst, wie sie nach der Abkehr von der «revolutionären Gewalt» unter Präsident Khatami allmählich ausgemerzt werden müssen. Doch scheint ein Kronzeuge und Vermittler in diesem Fall derselbe ehemalige iranische Präsident Bani Sadr zu sein, der schon in dem Berliner Gerichtsverfahren über den Mykonos-Mordfall von 1992 und die Untaten unter dem Teheraner Minister Fallahian zentrale Anklagen erhoben hatte. Dass die islamische Revolution Mord und Totschlag auch im Ausland während Jahren nicht scheute, ist eins, doch dass die iranische Exilopposition bei jeder Gelegenheit Teheran für Terrorakte zu beschuldigen trachtet, ist ein anderes. Geheimdienstminister Yunesi bekräftigte nach seinem Dementi erneut, Iran sei gegen jede Form von Terrorismus und kooperiere international bei dessen Bekämpfung.