Salzburger Nachrichten (A), 8.6.2000

Verwirrendes Geständnis

Die Aussagen eines iranischen Überläufers zum Lockerbie-Attentat lösten heftige Spekulationen, Angriffe und Dementis aus und steigern die Verwirrung.

BIRGIT CERHA

NIKOSIA (SN). US-Geheimdienstagenten bestätigen nach intensiven Verhören des iranischen Überläufers Ahmad Behbahani in der Türkei, dass der unterdessen in Schutzhaft genommene Flüchtling tatsächlich - wie er selbst behauptet - dem Geheimdienst des "Gottesstaates" angehört habe. Vermutlich habe Behbahani Terrorakte gegen iranische Exil-Oppositionelle durchgeführt. Doch dass er lange eine führende Rolle bei der Koordination und Organisation von Morden im Ausland gespielt hätte, scheint vorerst keineswegs sicher.

Behbahani hatte in einer Sonntag vom US-Fernsehen CBS ausgestrahlten Dokumentation behauptet, er hätte 1988 selbst das Komplott gegen das Passagierflugzeug der US-PanAm geschmiedet, das nach einer Bombenexplosion an Bord über der schottischen Stadt Lockerbie mit 270 Passagieren abgestürzt war. Er selbst, so "gestand" Behbahani, hätte die radikale "Organisation zur Befreiung Palästinas" (PFLP-GC) mit der Durchführung des Terroraktes betraut.

Behbahanis "Geständnis" löste eine Flut von Beschuldigungen, Attacken und Dementis aus. Teheran reagierte mit ungewöhnlicher Heftigkeit. Selbst Geheimdienstchef Yunesi wies offiziell Behbahanis Behauptungen "kategorisch" zurück: Ein Mann dieses Namens habe nie für den iranischen Geheimdienst gearbeitet. Behbahani gehö-re vielmehr der iranischen Terrororganisation "Volksmudschaheddin" an. Andere Quellen halten Behbahani für einen engen Mitarbeiter des früheren Geheimdienstchefs Fallahian, in dessen Amtszeit die brutalsten Terrorakte gegen Oppositionelle fallen.

Fallahian war nach einer Mordserie an Intellektuellen und Schriftstellern im Iran 1999 seines Amtes enthoben worden. Seither hat Prä-sident Chatami versucht, das Geheimdienstministerium von radikalen Elementen zu säubern.

Behbahani behauptet, er sei im Zuge dieser Säuberungen ins schwerbewachte Teheraner Evin-Gefängnis gebracht worden. Seine Erzählungen scheinen jedoch gespickt von Ungereimtheiten.

So sei ihm im März die Flucht aus diesem Gefängnis gelungen, und er hätte sich mit wichtigen Dokumenten in die Türkei abgesetzt. Die türkischen Sicherheitsbehörden hätten ihm die Dokumente abgenommen, bevor er dem UN-Flüchtlingskommissariat seinen Wunsch nach Asyl in den USA mitteilen konnte.

Medienkampagne gegen Behbahani

Dass die Türkei einen solch wichtigen Geheimagenten nicht festgenommen, sondern in ein Flüchtlingslager gebracht hat, gibt Rätsel auf. Ebenso ist unklar, warum er fast vier Monate lang schwieg. Informierte iranische Exilkreise berichteten schon vor einiger Zeit von der Flucht eines hohen iranischen Geheimchefs in die Türkei. Eingeweihte Kreise glauben jedoch, es handelt sich dabei um Fallahian selbst, dem im Zuge der Liberalisierungsbemü-hungen Präsident Chatamis im Iran ein Prozess droht.

Konservative iranische Medien führen nun eine ungewöhnlich heftige Kampagne gegen Behbahani. Auch unabhängige Kreise weisen darauf hin, dass der heute 32-Jährige zum Zeitpunkt des Lockerbie-Attentats erst 20 gewesen war. Dass ein solcher junger Mann ein derartiges Komplott angezettelt hätte, erscheint unwahrscheinlich. Yunesi und andere offizielle Stellen sind davon überzeugt, dass Behbahani sich eine solch wichtige Rolle zuschreibe, um seine Chancen auf Asyl in den USA zu vergrößeren.

Sollten sich Behbahanis Behauptungen als wahr erweisen, sähe sich Präsident Chatami gezwungen, sich energisch von den Konservativen zu distanzieren, ein Akt, mit dem er seinen eigenen Untergang riskieren könnte.