junge Welt, 06.06.2000

Neue Lockerbie-Spur

US-Sender vermutet Iran hinter Jumbo-Attentat. CBS interviewte Agenten

Der US-Fernsehsender CBS hat nach eigenen Angaben stichhaltige Beweise, wonach Iran hinter dem Lockerbie- Attentat von 1988 steckt. In seinem Programm »60 Minutes« berichtete der Sender am Sonntag abend (Ortszeit), ein Mitarbeiter habe in der Türkei den Iraner Ahmed Behbahani interviewt, der sich selbst als früheren Chef für terroristische Aktivitäten im iranischen Geheimdienst bezeichnet habe. Behbahani habe in dem Gespräch gesagt, er selbst habe das Bombenattentat auf die Maschine der US-Fluggesellschaft PanAm dem Anführer einer von Syrien unterstützten bewaffneten Gruppe, Ahmad Dschibril, vorgeschlagen. Anschließend habe er eine Gruppe Libyer nach Iran gebracht, um sie in 90 Tagen für den Anschlag auszubilden.

Die türkischen Behörden hätten es dem CBS-Mitarbeiter nicht erlaubt, ein Aufnahmegerät zu dem Interviev mit Behbahani mitzunehmen, berichtete der Sender. Behbahani verfügt laut CBS jedoch über stichhaltige Dokumente für seine Aussagen. Der Exiliraner sitze inzwischen in der Türkei in Untersuchungshaft. Laut CBS floh Behbahani vor vier Monaten in die Türkei, weil er Ärger mit Kollegen hatte und um sein Leben fürchten mußte. Beamte des US- Geheimdienstes CIA hätten den Mann am Freitag und Samstag verhört. US-Außenministerin Madeleine Albright sagte dem Sender, sie finde den Bericht sehr interessant und wolle mehr darüber wissen.

Nicht näher genannte Experten halten dem Sender zufolge den Lockerbie-Anschlag für einen Vergeltungsakt Irans. Ein Kriegsschiff der US-Navy hatte wenige Monate vor dem Attentat ein iranisches Passagierflugzeug angeblich für einen angreifenden Militärjet gehalten und abgeschossen. Dabei starben alle 290 Menschen an Bord des iranischen Airbus. Teheran hatte den USA Rache für das »Massaker« geschworen.

CBS berichtete außerdem, daß der ehemalige iranische Präsident Abul Hassan Bani Sadr über den Mitschnitt eines Telefongesprächs verfüge, aus dem hervorginge, daß der Anschlag auf ein jüdisches Gemeindezentrum in Buenos Aires in Argentinien im Jahr 1994 ebenfalls auf das Konto von Dschibril gehe. Bei dem Attentat waren 90 Menschen getötet worden.

Das iranischen Staatsfernsehen nannte die Vorwürfe am Montag eine »von Israel und den USA angestiftete Verschwörung«, die zum Scheitern verurteilt sei. Die Tageszeitung Teheran Times bezeichnete Behbahani als Terroristen und Mitglied der bewaffneten Oppositionsbewegung Volksmudschahedin, die von Irak aus operiert.

Der Jumbo der US-Fluggesellschaft PanAm war am 21. Dezember 1988 auf seinem Flug von London nach New York von einer Bombe in Stücke gerissen worden. Alle 259 Insassen starben. Zudem wurden elf Einwohner des schottischen Ortes Lockerbie durch herabstürzende Trümmerteile getötet. Seit Anfang Mai wird im niederländischen Camp Zeist nach einer Übereinkunft mit Libyen in dem Fall gegen zwei Libyer verhandelt, denen das Gericht Mord, Mordkomplott und Verletzung der Luftverkehrssicherheit zur Last legt. Die schottische Staatsanwaltschaft wollte sich am Montag nicht zu den aufgekommenen Vorwürfen gegen Iran äußern. »Wir geben keinen Kommentar zur Spekulationen und Gerüchten ab«, sagte ein Sprecher der Behörde. Die Vorwürfe hätten keinen Einfluß auf den Fortgang des Prozesses gegen die beiden Libyer.

(AFP/AP/jW)