Frankfurter Rundschau, 6.6.2000

"Angeblich freiwillig" im rechtsfernen Transit

Richter rügen Langzeitaufenthalt von Asylbewerbern am Airport / "19-Tage-Frist einhalten"

Von Ursula Rüssmann (Frankfurt a. M.)

Das nach dem Selbstmord einer Asylbewerberin am Frankfurter Airport unter Beschuss geratene Flughafen-Asylverfahren stößt in Teilen der Justiz auf Skepsis. Das Verwaltungsgericht Frankfurt entschied jetzt, abgelehnte Flüchtlinge dürften einreisen, wenn sie nicht innerhalb von 19 Tagen abgeschoben werden können. "Erhebliche Bedenken" gegen ein längeres Festhalten der Flüchtlinge im Transit hat auch der Ausländerrechtler Günter Renner.

Im Asylverfahrensgesetz taucht nur eine Frist auf: 19 Tage. Wenn in dieser Zeit nicht über den Asylantrag eines Flüchtlings am Flughafen entschieden werden kann, müsse ihm die Einreise erlaubt werden, heißt es da. Wie lange aber darf ein Asylbewerber am Airport festgehalten werden, wenn sein Antrag abgelehnt wurde, er aber nicht abgeschoben werden kann -- etwa weil er keinen Pass hat? In der Praxis werden die betroffenen Flüchtlinge vor die Wahl gestellt: Entweder sie unterzeichnen eine so genannte Freiwilligkeitserklärung und stimmen zu, weiter am Flughafen zu bleiben; oder ihnen droht Abschiebehaft. Die Asylbewerberin Naimah H. verbrachte auf diese Weise insgesamt sechs Monate im Flughafen und zwei weitere in Abschiebehaft, bevor sie sich Anfang Mai erhängte. Die lange Zeit ist kein Einzelfall: Obwohl die Zahl der Asylbewerber im Flughafenverfahren seit einigen Jahren sinkt, nahm die Zahl der Langzeitaufenthalte zu. So mussten 1999 insgesamt 33 Flüchtlinge mehr als 100 Tage im Transit bleiben, 1997 waren es nur zwei.

Kritiker nennen das Prozedere "Nötigung" und prangern "Langzeitinternierung" an. Es handele sich um "eine Art von Freiheitsentziehung", mahnt auch Günter Renner, Vorsitzender Richter am Hessischen Verwaltungsgerichtshof. Diese spiele sich in einer "Grauzone" ab, "die durch das Gesetz nicht geregelt ist", kritisiert er im Gespräch mit der FR: Da werde "auf angebliche Freiwilligkeit" gesetzt, "ohne dass die Kriterien transparent sind". Der Ausländerrechts-Experte wählt einen Vergleich aus dem Strafrecht: "Ich kann ja auch nicht in Strafhaft genommen werden, einfach weil ich mich ,freiwillig' dazu bereit erkläre." Renner plädiert für die strikte Beachtung der 19-Tage-Frist: In 80 Prozent der Fällen reicht sie ohnehin aus, die wenigen übrigen Flüchtlinge "sollte man einreisen lassen".

Ähnlich argumentierte kürzlich die 5. Kammer des Frankfurter Verwaltungsgerichts (VG). Sie verhalf einem Nepalesen zur Einreise, dessen Rückführung der Bundesgrenzschutz auch nach 29 Tagen im Transit nicht hatte bewerkstelligen können (Az.: 5 G 2563/00.AF). Nach so langer Zeit könne nicht mehr "von einer unverzögerten und kurzfristigen Rückführung" des Mannes gesprochen werden, die das Asylverfahrensgesetz anstrebe.

Das VG verweist auf einen ähnlichen Beschluss von 1996, mit dem einer afghanischen Familie die Einreise erlaubt worden war (Az.: 5 G 50448/96). Damals hatte das Gericht mit Blick auf mehrere Voten des Bundesverfassungsgerichts zum Asylrecht erklärt, ein Aufenthalt von mehr als etwa 19 Tagen im Flughafentransit sei "verfassungsrechtlich nicht mehr hinzunehmen". Außerdem ist nach Ansicht der Frankfurter Richter ein längerer Aufenthalt im Transit mit den Regelungen der Europäischen Menschenrechtskonvention zur Abschiebehaft unvereinbar. Zwei Wermutstropfen für die betroffenen Flüchtlinge: Auch wenn sie den Flughafen verlassen dürfen, droht ihnen weiter die Abschiebung. Und: Andere Kammern des VG Frankfurt sehen die Sache anders.