DER STANDARD (A), 6. Juni 2000, Seite 3

". . . als ich Herrn Ghassemlou in Wien umgebracht habe"

Ex-Geheimdienstminister plaudert aus der Terror-Schule: Nicht Libyen, sondern der Iran plante Lockerbie-Attentat

New York/Wien - Die Story, mit der der US-Sender CBS am Sonntag on air und ins Internet gegangen ist, ist exakt aus dem Stoff, aus dem sonst Spionageromane sind - nur dass es sich in diesem Fall nicht um ein Produkt schreiberischer Fantasie handelt, sondern um eine Story aus dem "richtigen Leben". Beim US-Geheimdienst dürfte jetzt jedenfalls Hochbetrieb herrschen.

Die Story: Ein hochrangiger ehemaliger iranischer Funktionär - stellvertretender Geheimdienstminister -, der maßgeblich mit der Organisation staatlicher Terrorakte beschäftigt war, hat sich aus Angst, weil er aus der Gunst seiner Regierung gefallen ist, aus dem Land abgesetzt und ist in die Türkei geflohen.

Eingeschlichen

Und weil er nicht nur ängstlich, sondern auch noch rachsüchtig ist, nimmt er Kontakt mit einem US-Medium auf, um freimütig aus der iranischen Terror-Schule zu plaudern. CBS sucht den Mann unter abenteuerlichen Umständen in einem türkischen Flüchtlingslager auf.

Weil die türkischen Behörden dem Überläufer Medienkontakte verbieten, musste sich eine iranischstämmige CBS-Mitarbeiterin in Flüchtlingskleidung in das Lager einschleichen. Die Mühe hat sich freilich gelohnt: Die Aussagen des Mannes, der sich Ahmad Behbahani nennt, stellen die bisherigen Erkenntnisse über die Urheber des Bombenanschlags auf eine Pan-Am-Maschine über der schottischen Stadt Lockerbie in völlig neuem Licht dar: Nicht Libyen sei es gewesen, das den Terrorakt, der 270 Menschenleben forderte, geplant und durchgeführt habe, sondern vielmehr der Iran, der sich lediglich libyscher Hilfe bediente.

"Wenn diese Geschichte bestätigt werden kann", heißt es auf der Webpage von CBS, "dann würde dies nicht nur den Prozess gegen die zwei Libyer, die dieses Verbrechens bezichtigt werden, platzen lassen. Es könnte auch die Versuche von Präsident Clinton infrage stellen, die US-Beziehungen mit dem Iran zu verbessern."

Der Lockerbie-Anschlag, meinte Behbahani, sei 1988 vom Iran als Racheakt für den versehentlichen Abschuss eines iranischen Airbusses durch einen US-Kreuzer geplant worden. Aber auch zahlreiche andere Terrorakte habe er persönlich eingefädelt und logistisch betreut, gab Behbahani seiner Gesprächspartnerin sichtlich stolz zu Protokoll: Er sei für die Ermordung zahlreicher iranischer Dissidenten, Intellektuellen und Schriftsteller verantwortlich. Zudem könne er beweisen, dass die Sprengung eines Militärlagers in Saudi-Arabien, die 19 amerikanische Soldaten das Leben kostete, von Teheran geplant worden sei. Aus österreichischer Sicht besonders interessant ist eine Gesprächspassage, in der Behbahani meint: "Ich persönlich habe mich als Reporter ausgegeben, als ich Herrn Ghassemlou in Wien umgebracht habe."

Anklagebank

Wegen des Lockerbie-Attentats müssen sich derzeit zwei mutmaßliche Mitglieder des libyschen Geheimdienstes vor einem schottischen Gericht in den Niederlanden verantworten. Dem Prozess war ein jahrelanges Tauziehen zwischen Libyen und der internationalen Staatengemeinschaft um die Auslieferung der beiden Verdächtigen vorausgegangen.

Ein Ex-CIA-Mitarbeiter, den CBS beigezogen hat, um die Authentizität von Behbahanis Aussagen zu überprüfen, meinte, dass die Aussage von Behbahani den Prozess in eine andere Richtung treiben werde: "Das ändert alles. Behbahani sagt, dass zwei Staaten, Libyen und der Iran, in diese Operation involviert waren. Das würde starke Zweifel an der Argumentation der Anklage aufwerfen. Wir hätten dann nicht mehr zwei libysche Bürger auf der Anklagebank, sondern gleich zwei Staaten." (win)