Badische Zeitung, 6.6.2000

Mit der Reform lässt Rot-Grün sich erst einmal Zeit

Fast so heikel wie Rüstungsexporte: Nach welchen Richtlinien sollen Hermes-Bürgschaften für Exportaufträge vergeben werden?

Von unserer Korrespondentin Jutta Wagemann

Wäre Hasankeyf so bekannt wie Troja, die Empörung wäre sicherlich groß. Doch Hasankeyf ist ein 5000-Einwohner-Ort in Südostanatolien, den in Deutschland kaum jemand kennt. Für die rot-grüne Koalition in Berlin wird diese 2000 Jahre alte kurdische Siedlung in den nächsten Wochen allerdings in unangenehme Nähe rücken. Denn an dieser Stadt könnte sich zeigen, ob Rot-Grün eines seiner Versprechen hält: die Richtlinien für die Vergabe von Hermes-Bürgschaften zu überarbeiten, mit denen der Staat Exporte deutscher Unternehmen absichert.

Die türkische Regierung will in der Region den 130 Meter hohen Ilisu-Staudamm bauen. In dem Stausee würde, darauf weisen Nicht-Regierungsorganisationen hin, die für Archäologen einzigartige Fundstätte versinken und damit unrettbar verloren gehen. Zugleich würde das Ökosystem am Tigris für immer zerstört. In der wasserarmen Region ist es zudem ein Politikum, dass die Türkei die Kontrolle für die Wasserzufuhr nach Syrien und den Irak erhielte.

Für dieses umstrittene Projekt hat die Firma Sulzer bei der Bundesregierung einen Hermes-Kredit über 150 Millionen beantragt; bis zur Sommerpause muss entschieden werden. Derzeit stimmen die Koalitionsfraktionen intern über einen Antrag ab, der Bedingungen für die Kreditgewährung fordert. Er soll Ende Juni im Bundestag beraten werden. Hermes-Bürgschaften sind für die rot-grüne Regierung ein ähnlich heikles Thema wie Rüstungsexporte. So wie jede Panzerlieferung für die Koalition zur Nagelprobe werden kann, birgt auch jeder Hermes-Kredit für ein ökologisch oder sozial bedenkliches Projekt Sprengstoff für Rot-Grün. Während jedoch die Regierung in der Exportfrage schon aktiv geworden ist und die Rüstungsexport-Richtlinien verschärft hat, lässt die im Koalitionsvertrag versprochene Reform der Hermes-Bürgschaften auf sich warten.

Die Bundesrepublik vergibt Hermes-Bürgschaften für die Absicherung deutscher Exporte. Wenn der Käufer oder das Empfängerland nicht zahlen können, springt der Staat ein. Sehr zurückhaltend bei der Reform dieser Kredite ist daher das Wirtschaftsministerium. Es versteht die Hermes-Bürgschaften - benannt nach der mit der Abwicklung betrauten Allianz-Tochter Hermes AG - als Fördermittel für deutsche Unternehmen. Bei SPD und Grünen gab es jedoch schon zu Oppositionszeiten die Forderung, strengere Auflagen für das Hermes-Geschäft zu entwickeln. Seit beide regieren, zieht sich die Hermes-Reform allerdings auffällig in die Länge. In ihren Standpunkten liegen nicht so sehr Grüne und Sozialdemokraten auseinander, sondern die jeweiligen Entwicklungs- und Wirtschaftspolitiker der Fraktionen.

Poetisch angehaucht formulierte die entwicklungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Angelika Köster-Loßack, wie sie sich die Hermes-Reform wünscht: "Hermes, der Götterbote der Kaufleute und Diebe, soll zum Boten der Globalisierung mit sozialem und ökologischem Antlitz werden." Für das richtige "Antlitz" sollen die Kriterien der Weltbank herangezogen werden. Die hat Standards entwickelt, die Schäden gegenüber der Umwelt, lokaler Bevölkerung und wichtiger Kulturgüter verhindern sollen. Um die Einhaltung zu gewährleisten, soll nach Willen der Entwicklungspolitiker auch das Umweltministerium sowie ein Sachverständigenrat an der Kreditvergabe beteiligt werden. Den Bau von Atomkraftwerken im Ausland mit Hilfe von Hermes-Krediten lehnen die Grünen ganz ab.

Wenn Rot-Grün sich nicht bald auf neue Richtlinien für staatliche Bürgschaften einigt, kann jeder Einzelfall zur Zerreißprobe werden. Den Kredit für den Ilisu-Staudamm in der Türkei etwa wollen die Koalitionsfraktionen genehmigen, wenn die Stadt geschützt und die Bewohner sozialverträglich umgesiedelt werden. Umwelt- und Entwicklungsorganisationen lehnen das Projekt jedoch insgesamt ab.

Für die Grünen steht in Sachen Hermes besonders viel auf dem Spiel. Ein großer Teil ihrer Wählerschaft ist in der Umwelt- und Entwicklungspolitik aktiv und legt eine hohe Messlatte an. Die Reform der Hermes-Bürgschaften ist für die Grünen eine Frage der Glaubwürdigkeit. Als im März bekannt wurde, dass Außenminister Joschka Fischer (Grüne) einem umfangreichen Hermes-Paket zugestimmt hatte, hatte er Mühe, dies zu rechtfertigen. Dem Bau des Ilisu-Staudamms zuzustimmen, dürfte noch schwieriger sein: Die Weltbank hat die Finanzierung aus politischen und ökologischen Gründen bereits abgelehnt.