junge Welt, 03.06.2000

Anklage gegen Karlspreisträger

Internationales Tribunal über den NATO-Krieg gegen Jugoslawien.

Von Rüdiger Göbel

»Was wäre das für ein Tag, wenn William Clinton in Aachen den Karlspreis für seine Verdienste um den Frieden entgegennähme und er hier in Berlin nicht wegen seiner Verantwortung für den Krieg gegen Jugoslawien zur Rechenschaft gezogen würde«, eröffnete der renommierte Völkerrechtler Prof. Norman Paech am Freitag in Berlin das Internationale Tribunal gegen Verantwortliche des NATO- Krieges gegen Jugoslawien. Während sich der als Kriegsverbrecher beschuldigte US-Präsident in Aachen als Friedensstifter feiern ließ, erntete die ebenfalls angeklagte rot-grüne Bundesregierung zumindest in der Berliner Kirche zum Heiligen Kreuz langanhaltende Buh-Rufe der mehreren hundert Tribunal-Teilnehmer. Grund war die Weigerung der Schröder-Fischer-Regierung, den aus Jugoslawien eingeladenen Zeugen und Experten des Tribunals die notwendigen BRD-Einreisevisa auszustellen.

Das zwei Tage dauernde Tribunal findet nach dem Vorbild der Russel-Tribunale gegen den Vietnamkrieg Ende der 60er Jahre statt und wird von Friedens- und Menschenrechtsorganisationen aus 15 europäischen Ländern sowie den USA getragen. Angeklagt wegen schweren Völkerrechtsbruchs, Verstößen gegen den NATO-Vertrag sowie nationale Verfassungen sind Bundeskanzler Gerhard Schröder, die Außen- und Verteidigungsminister Joseph Fischer und Rudolf Scharping, US-Präsident William Clinton und die Chefin des State Departments, Madeleine Albright, sowie weitere verantwortliche Politiker der 19 NATO-Staaten, darunter alle Bundestagsabgeordneten, die für die Beteiligung der Bundeswehr an der Bombardierung Jugoslawiens gestimmt hatten.

Prof. Wolfgang Richter, Vorsitzender der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde und Mitglied des sogenannten Spruchkörpers, des Tribunalgerichtes, konnte in Berlin ausländische Vertreter aus Österreich, Italien, Polen, Bulgarien, der Ukraine, der Tschechischen Republik, Schweden, Finnland, Dänemark, Frankreich, der Schweiz, Rumänien, Mazedonien, Griechenland, Belorußland, Rußland sowie den USA begrüßen. Empört äußerte er sich darüber, daß ausgerechnet die jugoslawischen Teilnehmer, »diejenigen, um deren Schicksal es geht«, von der BRD bis zum Auftakt des Tribunals kein Visum erhalten hätten. Am Nachmittag schließlich erhielten die Jugoslawen von der deutschen Interessenvertretung in Belgrad doch noch ihre Visa, am heutigen Samstag sollen sie als Zeugen in Berlin aussagen.

»Keines der Probleme, die den Krieg gegen Jugoslawien angeblich notwendig gemacht haben, ist heute gelöst. Aus der vermeintlichen humanitären Katastrophe ist ein Desaster ohne Ende geworden«, so der Vorsitzende des Tribunals, Norman Paech. In der zweitägigen Verhandlung gehe es einzig um die rechtliche Verantwortung für einen Krieg, der erstmals nach 1945 in Europa unter maßgeblicher deutscher Beteiligung geführt worden sei.

Zwischen dem 24. März und dem 10. Juni 1999 haben NATO-Piloten 37 465 Angriffe vor allem gegen zivile Ziele in Jugoslawien geflogen, bei denen »zwischen 500 und 2 000 Zivilpersonen« ums Leben kamen, hieß es in der vom Berliner Rechtsanwalt Ulrich Dost verlesenen Anklageschrift (dokumentiert in jW-Beilage vom 24. Mai 2000). Standen am Freitag die Vorbereitung und Planung des Krieges gegen Jugoslawien im Vordergrund des Verfahrens, sollen am heutigen Samstag die Kriegsführung selbst sowie Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht erörtert werden.