Tagesspiegel, 2.6.2000

Menschenrechte

Horror auf der Polizeiwache steht auf der Tagesordnung - Türkischer Parlamentsausschuss veröffentlicht Folter-Bericht

Thomas Seibert

Der Istanbuler Polizeikommissar Süleyman Akbulut hatte bei den Untersuchungshäftlingen seinen Spitznamen weg: "Süleyman der Schlauchmann." Denn Akbulut griff häufig zu einem Wasserschlauch, wenn es darum ging, eine Aussage aus einem Festgenommenen herauszuprügeln. Hin und wieder fragte er seine Opfer, ob sie einen Schlauch einer bestimmten Farbe bevorzugten. Auf einer anderen Wache im Stadtteil Maltepe gaben sich die Beamten Mühe, ihre Folterwerkzeuge gut zu verstecken. Mit einer Sitzbank waren zwei Löcher im Boden getarnt, die für den sogenannten "Hänger" gebraucht wurden: In die Löcher wurden Pfähle gesteckt, die am oberen Ende durch einen Querbalken verbunden wurden; an den wurden Untersuchungshäftlinge an Armen oder Beinen aufgehängt. Nach den Folterungen wurde der "Hänger" abmontiert und die Bank wieder an ihren Platz gerückt. Ans Licht kamen diese Machenschaften der Polizei in Istanbul und anderen türkischen Städten jetzt durch die Arbeit des Menschenrechtsausschusses des Parlaments in Ankara. Dass Häftlinge in der Türkei misshandelt werden, ist seit langem bekannt, doch nun wurde das Ausmaß der Folterungen erstmals offiziell registriert. In zweijähriger Arbeit kam der Ausschuss in Tausenden von Gesprächen mit Häftlingen und Polizisten bei Besuchen auf Polizeiwachen und in Gefängnissen zu dem Fazit: In der Türkei ist die Folter trotz aller Reformankündigungen an der Tagesordnung.

Als der Bericht vorgelegt wurde, versprach zwar auch Justizminister Hikmet Sami Türk wieder, gegen das Übel der Folter vorzugehen. Doch nach Meinung des Ausschusses werden keine neuen Gesetze gebraucht, um den Menschenrechtsverletzungen ein Ende zu setzen: Eine effektive Kontrolle der Sicherheitsbehörden würde schon genügen.

Die Arbeit des Ausschusses hat aus der Vorsitzenden Sema Piskinsüt eine bekannte Politikerin gemacht. Anfang des Jahres sorgten Piskinsüt und ihre Kollegen für Schlagzeilen, als sie bei einer Stichprobe in einer Istanbuler Polizeiwache einen einsatzbereiten "Hänger" sowie eine sogenannte "Falaka" für Schläge auf die Fußsohlen beschlagnahmten. Die Utensilien wurden der Staatsanwaltschaft übergeben, die ein Verfahren gegen die Polizisten einleiten soll.

Die Abgeordneten stellten bei ihrer Arbeit fest, dass die Häftlinge in ihren Berichten über Folter bei der Polizei und der zur Armee gehörenden Gendarmerie die Lage nur zu genau beschrieben. Die angewandten Zwangsmittel reichten von Beschimpfung und Erniedrigung über das Abspritzen mit kaltem Wasser bis hin zur Folter mit dem "Hänger", der "Falaka" und mit Stromstößen. In einigen Städten wie in Sanliurfa im Kurdengebiet ergaben die Befragungen, dass praktisch alle Häftlinge gefoltert wurden.

Nur vereinzelt wurden Verbesserungen registriert. So wurde in der osttürkischen Stadt Tunceli in diesem Jahr besser ausgebildetes Personal angetroffen und es gab mehr Respekt für die Menschenrechte als im Jahr zuvor. Dennoch kritisierten die Abgeordneten, dass Polizisten kaum etwas zu befürchten hätten, wenn sie folterten. Das zeigt auch der Fall von "Süleyman dem Schlauchmann", der nach wie vor in Istanbul im Dienst ist. Erst als ein Fernsehsender den "Schlauchmann" beim Prügeln zeigte, kündigten die Behörden Ermittlungen an.

"Es wäre eigentlich nicht schwierig, Misshandlungen und Folterungen abzustellen", bilanzieren die Abgeordneten. Die Hauptveranwortung liege bei den Provinzgouverneuren und Staatsanwaltschaften, die ihrer Pflicht als Aufsichts- und Kontrollinstanzen nicht nachkämen und Foltervorwürfe häufig ignorierten. Dadurch entstehe eine Atmosphäre, in der Folter geduldet oder sogar ermutigt werde. Typisch dafür war die Reaktion des Istanbuler Gouverneurs Erol Cakir auf den Fund des "Hängers" auf einer Polizeiwache: "Jetzt haben sie also ein paar Knüppel gefunden", sagte Cakir. "Na und?"