Frankfurter Rundschau, 2.6.2000

"Erbfeinde" Seite an Seite

Ankara und Athen denken über Ende des Wettrüstens nach

Von Gerd Höhler (Athen)

In den vergangenen sechs Monaten haben Griechenland und die Türkei mehrere Verträge über wirtschaftliche Zusammenarbeit geschlossen. Nicht nur die beiden Völker entdeckten nach den verheerenden Erdbeben, von denen die Länder im vergangenen Jahr heimgesucht wurden, Gemeinsamkeiten. Auch die Militärs der beiden "Erbfeinde" scheinen ihre Berührungsängste abzulegen.

Seite an Seite, wie alte Verbündete stürmten griechische und türkische Soldaten am Donnerstagmorgen aus ihren Landungsbooten auf einen Strand an der Westküste des Peloponnes. Die Landung war Teil des Nato-Manövers Dynamic Mix. Dass jetzt türkische Soldaten an griechischen Gestaden die Invasion üben, dokumentiert eine neue Ära in den Beziehungen der beiden Nachbarn.

Im Rahmen des noch bis zum 10. Juni laufenden Nato-Manövers legen jetzt erstmals seit Jahrzehnten griechische Kriegsschiffe in türkischen Häfen an, und türkische Kampfjets landen auf griechischen Luftwaffenbasen.

Zeit, das kostspielige gegeneinander gerichtete Wettrüsten aufzugeben? In diese Richtung ging ein interessanter Vorschlag, den der türkische Admiral a.D. Güven Erkaya jetzt in die Diskussion brachte. Der Ex-Oberkommandierende der türkischen Kriegsmarine stellte in einer für Ministerpräsident Bülent Ecevit bestimmten und der Presse zugespielten Studie Planspiele zur Entschärfung der militärischen Konfrontation in der Ägäis an.

Griechenland, so schlug Erkaya vor, solle seine Truppen auf den ostägäischen Insel reduzieren und darauf verzichten, seine Hoheitsgewässer in der Ägäis von derzeit sechs auf zwölf Seemeilen auszudehnen. Im Gegenzug könnte die Türkei ihre in Izmir stationierte 4. Armee, die sogenannte Ägäisarmee, auflösen.

Der Generalstab ging zwar auf Distanz zu dem Gedankenspiel des ehemaligen Admirals. Beobachter halten es aber für unwahrscheinlich, dass Erkaya ohne jegliche Absprache mit seinen Offizierskollegen vorpreschte. Es dürfte sich vielmehr um einen Versuchsballon handeln.

Zwar beharrt die Athener Regierung einstweilen darauf, dass Griechenland in der Ägäis zwölf Seemeilen Hoheitsgewässer zustehen; von einer Demilitarisierung der ostägäischen Inseln will sie ebenfalls nichts wissen. Und der türkische Verteidigungsminister Sabahattin Cakmakoglu erklärte am vergangenen Montag, es sei "zu früh, über eine Auflösung der Ägäisarmee nachzudenken". Rundheraus zu verwerfen schien er damit die Ideen des Admirals a.D. aber nicht.

Beobachter glauben zu wissen, dass in Ankara und in Athen seit Monaten intensiv beratschlagt wird, wie die militärische Konfrontation in der Ägäis entschärft werden kann. Man sucht nach Möglichkeiten, die Rüstungsspirale anzuhalten.

Nach den bisherigen Planungen wollen die Griechen bis 2004 rund 25 Milliarden Euro für neue Kampfflugzeuge, Panzer und Raketen ausgeben. Die Türkei plant bis zum Jahr 2025 sogar 150 Milliarden Euro in neue Waffen zu investieren. Diese gigantischen Rüstungsprogramme dürften allerdings kaum zu finanzieren sein. Sie gefährden die Sanierung der türkischen Staatsfinanzen ebenso wie die Stabilitätsauflagen, die der Euro-Beitritt für Griechenland mit sich bringt.

Dem griechischen Premier Kostas Simitis sitzt überdies noch in den Knochen, dass die beiden Länder wenige Wochen nach seinem Amtsantritt Anfang 1996 über den Streit um die Imia-Felseninseln an den Rand eines Krieges gerieten.

Noch besser weiß der Admiral a.D. Erkaya um die Gefahren, die im östlichen Mittelmeer lauern. Er amtierte nicht nur während der Imia-Krise als Chef der Kriegsmarine. Erkaya war 1974 auch Kommandant des Zerstörers "Kocatepe". Sein Schiff wurde während der Zypern-Invasion versehentlich von der eigenen Luftwaffe versenkt. Die türkischen Bomberpiloten glaubten, ein griechisches Schiff vor sich zu haben.