Freitag, 2.6.2000

Karin Leukefeld, Diyarbakir

Hasankeyf ist dem Untergang geweiht

DER ILISU-STAUDAMM

Ein Wassergrab wartet auf die antike Stadt am Tigris

Die Fahrt in dieses Gebiet, von der kurdischen Ölstadt Batman in das altertümliche Hasankeyf, dauert knapp 30 Minuten. Das schmale Asphaltband steigt hinter Batman langsam an und schlängelt sich dann durch die Ausläufer der Yama-Berge, vorbei an kleinen Weilern und Ställen. Ein stilles Land - oft deutet nur eine Satellitenschüssel daraufhin, dass die zuweilen recht maroden und verwitterten Gebäude bewohnt sind.

Schließlich stoße ich mit meinem Jeep auf den nach Südosten behäbig dahinfließenden Tigris. Am anderen Ufer des Flusses steigen steile Felswände empor und pressen das schlammbraune Wasser tief in sein enges Bett. Menschen lagern zum Picknick am diesseitigen Ufer, Vögel gleiten über den Strom - eine Sonntagsidylle, die fast vergessen lässt, dass sich die kurdische Provinz Batman noch immer im Ausnahmezustand befindet. Bald tauchen die Überreste der Tigrisbrücke im Wasser auf, zusammen mit dem hohen Minarett ist sie zu einer Art Wahrzeichen der Kleinstadt Hasankeyf geworden. Früher führte die persische Königsroute - ein Teil der Seidenstraße - hier entlang. Heute spannt sich eine neue Brücke über den Fluss und ermöglicht die Durchfahrt zum Ortskern von Hasankeyf.

Hinter der Stadt durchfließt der Tigris eine von der modernen Zivilisation nahezu unberührte Region. Die Hauptverkehrsadern Sirnak-Siirt-Batman und Cizre-Midiyat-Batman umschließen das Gebiet der Karakas-Berge, der Seyhömer- und der Küpeli-Berge wie ein Ring. Hunderte kurdischer Dörfer liegen in dieser Bergzone. Die Landkarte weist eine Fülle historischer Denkmäler auf: Kirchen, Klöster, Moscheen, römische Villen, antike Städte, manche erhalten - viele zerfallen. Das meiste wurde bislang kaum erkundet. Von Hasankeyf bis nach Cizre an der syrischen Grenze legt der Tigris noch gut 70 Kilometer zurück. Hinter Cizre markiert der Verlauf des Stroms zunächst die syrisch-türkische, dann die syrisch-irakische Grenze, um bald ganz in den Irak zu fließen.

Ein großer Teil dieses Gebietes zwischen Hasankeyf und Cizre ist dem Untergang geweiht - es soll im Rahmen des GAP-Projektes überflutet werden. Kaum fassbar, eine tollkühne Planung, die vor ungefähr 30 Jahren entstand und auf den Ilisu-Staudamm fixiert ist. Unterhalb der Stadt Dargecit soll der bei einer Dammhöhe von 135 Metern den Tigris auf einer Breite von fast zwei Kilometern aufstauen. Der dadurch entstehende See wäre mit 313 Quadratkilometern fast so groß wie der italienische Gardasee. Die gesamte Unterstadt von Hasankeyf - zirka 30 Kilometer von der Staumauer entfernt - würde in den Fluten versinken. Der See käme bei einer Längsausdehnung von 120 Kilometern bis auf 30 Kilometer an die kurdische Metropole Diyarbakir heran. Die Kapazität des künftigen Kraftwerks am Ilisu-Damm soll eine Energieerzeugung von 3.800 Gigawatt/Stunde garantieren, was in etwa der Jahresleistung des stillgelegten Atomkraftwerks Mülheim-Kärlich entspricht. Eine energetische Basis, um für das "Grenzentwicklungsgebiet" zwischen Mardin, Batman und Cizre die Ansiedlung einer auch international attraktiven Billigproduktionszone voranzutreiben.

"Man müsste nur 35 Meter niedriger bauen ..."

Arif Arslan, Journalist aus Batman, engagiert sich seit 1998 im Verein zum Schutze von Hasankeyf, heute ist er dessen Vorsitzender. Zweifellos gäbe es in der Region einen Bedarf nach mehr Energie, aber dafür sei ein solcher Staudamm nicht nötig: "Das heutige Stromleitungssystem ist 50 Jahre alt, würde man das erneuern, könnte viel Energie gespart werden." Arslans Verein ist nicht prinzipiell gegen den Staudamm und um Alternativen bemüht: "Man müsste nur 35 Meter niedriger bauen", rechnet Arif Arslan vor, "damit verringert sich die gesamte Wasseroberfläche und die historische Unterstadt von Hasankeyf wäre gerettet. Statt 3.800 Gigawatt/Stunde würden dann zwar nur 3.400 produziert, aber das sollte Hasankeyf doch wert sein."

Europäische NGO kritisieren, dass die

ökologischen und sozialen Konsequenzen eines so gigantischen Projekts nie ernsthaft vom Betreiber untersucht worden seien. Niemand, sagt mir Arslan, scheine genau zu wissen, wieviel Menschen in dem Gebiet wohnen. Nach Angaben der türkischen Regierung - sie werden vom beteiligten Firmenkonsortium übernommen - müssten ungefähr 8.000 Bewohner umgesiedelt werden. In der Administration von Diyarbakir spricht man hingegen davon, allein aus Hasankeyf seien wahrscheinlich bis zu 10.000 Menschen zu evakuieren. Eine Untersuchung des Kurdistan Human Rights Project in London nennt eine Gesamtzahl von 25.000 Betroffenen in 70 Dörfern - mitgerechnet auch all diejenigen, die sich in den zurückliegenden Kriegsjahren von der türkischen Armee gezwungen sahen, ihre Heimatgemeinden zu verlassen. Mindestens 19 Dörfer im Projektgebiet sind seit 1990 gewaltsam geräumt - die Häuser teilweise zerstört worden. An Entschädigungen war nicht zu denken. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wurde in ähnlich gelagerten Fällen bereits zu Lasten des türkischen Staates entschieden.

Ob jetzt mit den anstehenden Umsiedlungen Abfindungen gezahlt werden, scheint bislang völlig ungeklärt. Nie haben Mitarbeiter des GAP-Projektes in den Dörfern über die Auswirkungen des Vorhabens auch nur informiert. Ein Verein zum Schutze von Hasankeyf versucht verzweifelt, genau diese Fragen zu klären: "Wohin soll eigentlich umgesiedelt werden, wenn der Staudamm-Bau beginnt? Wird es finanzielle Kompensationen geben? Wieviel? Werden woanders neue Häuser zur Verfügung gestellt? Können die historischen Bauwerke gerettet und woanders wieder aufgebaut werden?" - Arif Arslan lehnt letzteres kategorisch ab. "Hasankeyf," sagt er, "ist ein historisches Ensemble, davon können nicht einzelne Bauwerke woanders wieder errichtet werden." Ob das Anliegen zum Schutz von Hasankeyf denn von Parteien in der Region unterstützt werde, will ich wissen? Arslan: "Unterstützt werden wir zumeist von linken Parteien, doch das ist entschieden zu wenig. Hier herrschen noch feudale Verhältnisse, viele Mitglieder der etablierten Parteien verfügen über nicht unbeträchtlichen Landbesitz. Wird der Staudamm gebaut, erhalten sie dafür garantiert eine Entschädigung, sie verdienen daran. Warum sollten sie etwas gegen das Projekt tun?

"Diese Stadt Hasankeyf gehört nicht allein uns ..."

Arslans Verein setzt auf die Option, den Damm zu verkleinern. Ob das den Interessen der Region wirklich entspricht, lässt sich nur schwer sagen. Aber dann ist da auch noch die Rechtslage - eine Überflutung von Hasankeyf wäre auf jeden Fall ein Verstoß gegen türkisches Gesetz. "1978 hat das Kulturministerium der Türkei die Stadt per Beschluss unter archäologischen Schutz gestellt", erinnert sich Arif Arslan. "1981 wurde dieses Dekret dahingehend konkretisiert, dass 22 Bauten in den Rang von Kulturdenkmälern der ersten Kategorie erhoben wurden, so dass sie geschützt werden müssen."

Weil die Regierung mit dem Bau des Ilisu-Staudamms gegen ihre eigene Entscheidung verstoßen würde, hat der Verein zum Schutz von Hasankeyf mit dem Beistand der Istanbuler Anwaltskammer Klage eingereicht. Die Begründung von Arif Arslan leuchtet ein: "Hasankeyf ist ein altes Kulturerbe. Die Stadt Hasankeyf gehört nicht nur uns und unserer Generation, sondern der ganzen Menschheit. Es wäre sehr wichtig, würde sich auch die UNESCO dieses Thema annehmen ..."

In Deutschland engagiert sich ein NGO-Bündnis gegen das GAP-Projekt. Sein Erfolg hängt auch davon ab, ob die Bundesregierung der am Bau beteiligten Firma Sulzer Kreditbürgschaften genehmigt. Da der türkische Auftraggeber mit Sicherheit keine hundertprozentige Zahlungsgarantie geben kann, wäre der anstehende Entscheid keinesfalls von zweitrangiger Bedeutung. "Mit der Gewährung einer Hermesbürgschaft für den Ilisu-Staudamm würde die Bundesregierung mitverantwortlich für die Zwangsumsiedlung Tausender Kurdinnen und Kurden, den Untergang der historisch bedeutenden Stadt Hasankeyf und die mögliche Zunahme von Konflikten in der Region," heißt es in einem Aufruf, der Anfang Mai von medico international, WEED und anderen unterzeichnet wurde.