Frankfurter Rundschau, 30.5.2000

Zank um EU-Flüchtlingspolitik

Schily lehnt Brüsseler Vorschläge für Mindeststandards ab

Von Michael Bergius

Die jüngsten Brüsseler Vorschläge für gemeinsame Mindeststandards beim Zuzug von Bürgern aus Drittstaaten in die EU stoßen bei der Bundesregierung und den deutschen Ländern auf Widerstand. BRÜSSEL, 29. Mai. Bei einem Treffen mit seinen 14 EU-Kollegen in Brüssel machte Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) am Montag kein Hehl aus seiner Ablehnung eines Paketes unterschiedlicher Schritte, mit denen die EU-Kommission Bewegung in die stockende gemeinsame Ausländerpolitik bringen will. Mehrere dieser Einzelpläne würden vom Bund und den Ländern "sehr kritisch" gesehen; es gebe noch einen "erheblichen Diskussionsbedarf", sagte Schily. Die Bedenken der Bundesregierung richten sich gegen mehrere ähnlich konzipierte Entwürfe der Kommission zur Familienzusammenführung von Bürgern aus Nicht-EU-Staaten sowie zur vorübergehenden Aufnahme von Flüchtlingen. In beiden Fällen plädiert die Brüsseler Behörde unter anderem für ein weit gefasstes "Nachzugsrecht" für Angehörige von Drittstaats-Bürgern und für deren freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Bürgerkriegsflüchtlinge sollen den Vorschlägen zufolge während eines Zeitraums von zwei Jahren EU-weit Anspruch auf Mindeststandards haben: unter anderem ein Recht auf Aufenthalt, medizinische Versorgung, Sozialleistungen, Bildung und Wohnung. Deutschland werde mit diesen Vorstellungen überfordert, sagte Schily: Bereits jetzt kämen durch Familienzusammenführungen jährlich etwa 60 000 Angehörige von Drittstaatlern ins Land; wenn die Bestimmungen im Sinne der Kommission gelockert würden und auch Großeltern sowie volljährige Kinder nachziehen könnten, "bekämen wir sechsstellige Zahlen", rechnete er vor. Rückendeckung erhielt er vom Vorsitzenden der Länder-Innenministerkonferenz, Fritz Behrens aus Nordrhein-Westfalen. Die Vorschläge seien "noch nicht ausgereift" und bedeuteten einen unzulässigen Eingriff in die Arbeitsmarktpolitik der Mitgliedstaaten, rügte er. Vor dem Hintergrund der Flüchtlingsströme aus Ex-Jugoslawien hatte die Bundesregierung in den vergangenen Jahren erfolglos für eine "gerechte Lastenverteilung" zwischen den EU-Partnern geworben. Um dem gerecht zu werden, hatte sich die Kommission zuletzt zwar für "Solidaritätsmechanismen" und einen EU- "Flüchtlingsfonds" in Höhe von jährlich rund 50 Millionen Mark ausgesprochen; die Idee eines festen Quotensystems bei der Zuteilung von Flüchtlingen auf die EU-Staaten hatte Brüssel jedoch fallen lassen. In Sachen Fonds gebe es noch kein "vollständiges Einvernehmen", stellte Schily klar. Er rügte vor allem, dass alle Mitgliedstaaten unabhängig von der aufgenommenen Flüchtlingszahl einen Sockelbetrag von zwei Prozent aus dem Fonds erhalten würden. Damit wären bei 15 Staaten bereits 30 Prozent gebunden.