Berner Zeitung (CH), 29.5.2000

Khatami ruft zu Kooperation auf

Das neue, von Reformern dominierte iranische Parlament ist zu seiner konstituierenden Sitzung zusammengetreten. Präsident Mohammed Khatami rief dazu auf, «künstliche Krisen» zu vermeiden.

*Michael Wrase

Das im Februar und April gewählte und von Anhängern des reformorientierten Staatspräsidenten Mohammed Khatami beherrschte iranische Parlament hat am Samstag seine konstituierende Sitzung abgehalten. In seiner Eröffnungsansprache bat Khatami die 265 anwesenden Abgeordneten des 290-köpfigen Parlamentes darum, «künstliche politische Krisen» unbedingt zu vermeiden. Bei der Umsetzung seines Reformprogrammes hoffe er auf die Mithilfe aller Volksvertreter. Nur dann könnten «die kranke iranische Wirtschaft geheilt und soziale Gerechtigkeit geschaffen werden».

Rafsanjanis Rückzug
Bei der Sitzung war auch der ehemalige iranische Staatspräsident Ali Akbar Hashemi Rafsanjani anwesend. Der konservative Geistliche hatte am Donnerstag für Schlagzeilen gesorgt, als er überraschend auf seinen Parlamentssitz verzichtete. Rafsanjani war als einziger konservativer Kandidat in der Hauptstadt Teheran gewählt worden. Nach dem vorläufigen Endergebnis landete er auf Platz 30. Vor ihm lagen 29 Khatami-Anhänger. Der konservative Wächterrat ordnete darauf eine Nachzählung an - Rafsanjani rückte um zehn Plätze nach vorne. Die offensichtliche Wahlmanipulation des Wächterrates zu seinen Gunsten konnte Rafsanjani nicht akzeptieren, weil er sich sonst lächerlich gemacht hätte.
Sein Mandatsverzicht und die Tatsache, dass trotz unzähliger Störmanöver der Hardliner das Parlament schliesslich doch zu einer konstituierenden Sitzung zusammentreten konnte, ist ein Erfolg für die iranischen Reformisten. Ihre fundamentalistischen Widersacher kontrollieren allerdings weiterhin wichtige Schlüsselpositionen im Iran und haben in den letzten drei Monaten deutlich signalisiert, dass sie nicht bereit sind, das klare Votum des Volkes zu akzeptieren.
Die Verlierer der Parlamentswahlen setzten die Schliessung von 17 liberalen Tageszeitungen durch. Reformorientierte Journalisten und liberale Freidenker wurden verhaftet, friedliche Proteste iranischer Studenten brutal aufgelöst.

Konflikte vorprogrammiert
Das neue iranische Parlament, so forderte Irans konservativer Revolutionsführer Sayed Ali Khamenei in seiner Botschaft an die Abgeordneten, müsse «dem Islam dienen und Fraktionskämpfe vermeiden». Diese sind freilich vorprogrammiert, wenn das reformorientierte Parlament Gesetzesvorlagen verabschiedet, welche nach der Verfassung vom konservativen Wächterrrat abgesegnet werden müssen. Eine Ablehnung erfordert entweder eine Schlichtung durch den ebenfalls konservativen «Rat zur Förderung von Staatsinteressen», der wiederum vom gedemütigten Rafsanjani geleitet wird, oder eine Vermittlung durch Revolutionsführer Khamenei. Wie in diesem Kontext die dringend notwendigen Wirtschaftsreformen sowie der von Khatami angestrebte islamische Rechtsstaat umgesetzt werden soll, ist völlig schleierhaft. Immerhin haben die Abgeordneten Gelegenheit, Missstände und Skandale zur Sprache zu bringen, was nach dem Verbot der liberalen Presse kaum mehr möglich war. Und das konservativ dominierte iranische Fernsehen ist nach der Verfassung gezwungen, die Parlamentsdebatten direkt zu übertragen.*