web de 28.05.2000 18:37

Erster Toter seit israelischem Rückzug aus Südlibanon

Hisbollah-Kämpfer erschoss einheimischen Christen - Drei Araber von Israelis verletzt - USA fordern Beirut zur Entsendung von Truppen auf - UN-Soldaten bemühen sich um Beruhigung

Kfar Kila/Libanon (AP)

Unter der christlichen Bevölkerung Südlibanons hat es am Sonntag ein erstes Todesopfer seit dem israelischen Rückzug aus dem Gebiet vor einer Woche gegeben. Ein Kämpfer der radikalislamischen Hisbollah erschoss in dem Dorf Rmaisch einen Christen. Die libanesische Polizei erklärte, es habe sich um einen privaten Zwischenfall ohne politischen Hintergrund gehandelt. Die Guerillaorganisation erklärte, sie habe nichts mit dem Mord zu tun. Rmaisch war während der Besetzung eine Hochburg der mit Israel verbündeten Christenmiliz SLA. Unterdessen wurden bei dem Grenzübergang Kfar Kila drei arabische Jugendliche von israelischen Soldaten verwundet.

Beide Zwischenfälle unterstreichen die Brüchigkeit des äußerlichen Friedens in der israelisch-libanesischen Grenzregion, in der die Spannungen trotz der Bemühungen der UN-Schutztruppe UNIFIL um die Beruhigung der Lage am Wochenende zunahmen. UNIFIL konnte bisher ihre Zusage, das nach dem israelischen Abzug entstandene Machtvakuum auszufüllen, nicht einhalten. Die libanesische Regierung hat zwar einige hundert Polizisten in die ehemalige Sicherheitszone geschickt, um verängstigten Christen die Furcht vor der Hisbollah zu nehmen, aber noch keine Soldaten in Südlibanon einrücken lassen.

Der amerikanische Botschafter in Israel, Martin Indyk, forderte die libanesische Regierung am Sonntag auf, Truppen an die Grenze zu Israel zu entsenden und anstelle der Hisbollah die Kontrolle über das dortige Gebiet zu übernehmen. Es sei absolut notwendig, dass libanesische Polizei und Soldaten in der Zone entlang der Grenze stationiert würden und die Autorität der Regierung in Beirut über ganz Libanon herstellten, sagte Indyk in Tel Aviv. US-Präsident Bill Clinton gratulierte dem israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak am Sonntag telefonisch zu dem Rückzug aus Libanon und drückte seine Hoffnung auf eine friedliche Entwicklung in dem Gebiet aus.

Wie schon am Vortag kamen am Sonntag wieder mehrere hundert Menschen zum Grenzübergang Kfar Kila. Dort griffen ein Dutzend Jugendliche den israelischen Posten mit Steinen an. Die Soldaten gaben zunächst einige Warnschüsse in die Luft ab, als ein Palästinenser versuchte, über den Zaun zu klettern. Danach waren weitere Schüsse zu hören. Offenbar schossen die Israelis auch mit Gummigeschossen. Dabei erlitten zwei palästinensische Jugendliche und ein junger Libanese Verletzungen, deren Ursache vermutlich Hartgummigeschosse waren.

In einem Interview des israelischen Fernsehens bescheinigte der palästinensische Präsident Jassir Arafat Barak ausdrücklich, um des Friedens willen seine Truppen aus der so genannten Sicherheitszone abgezogen zu haben - nicht etwa, weil die Hisbollah ihn dazu gezwungen habe. Beobachter in Jerusalem werteten es angesichts der antiisraelischen Stimmung bei vielen Palästinensern als bemerkenswert, dass sich Arafat in der Libanon-Frage so eindeutig hinter Barak gestellt habe.