Die Welt, 27.5.2000

Die Jugend ist ungeduldig

Frustriert über den langsamen Fortgang der Reformen verlassen viele ihr Land

Von Stephanie Rupp

Teheran - Der smarte Shadmehr Aghili mit dem Gel-gestylten schwarzen Haar und glatt rasierten Gesicht ist Held der Party. Mit eingängiger Melodie und in blumigstem Persisch singt der iranische Mädchenschwarm Liebeslieder. Teenager, Studenten und junge Akademiker - Mädchen ohne Kopftücher und Jungs in westlicher Kleidung - sitzen wippend um den großen Sony-Fernseher und sehen begeistert den Videomitschnitt von einem Konzert des Popstars an.

Der Mittzwanziger ist den konservativen Kräften im Iran ein gewaltiger Dorn im Auge. Doch der Popstar hat seit etwa einem Jahr den Segen des Kultusministeriums, das dem Präsidenten Mohammed Chatami nahe steht. Er darf in Teheran auftreten und seine Video- und Musikkassetten legal in den Geschäften verkaufen.

Diese neuen Freiheiten verdanken die Jugendlichen im Iran dem Reformkurs Chatamis. Auch in den Parks Teherans sind die kleinen neu gewonnenen Freiheiten spürbar. Unverheiratete Paare laufen unbekümmert Händchen haltend umher und sitzen eng umschlungen auf abseits gelegenen Parkbänken. Frauen sieht man mit bunten Kopftüchern, eng taillierten Mänteln und lackierten Fingernägeln.

"Das aber reicht uns nicht. Es wird nur toleriert, um uns ruhig zu stellen. Wahre Freiheit ist etwas anderes", sagt Roya, Studentin der Betriebswirtschaft. Wichtig sei die Meinungs- und Pressefreiheit und nicht nur ein paar "kulturelle Bonbons" wie Konzerte oder Kinofilme, in denen Dreiecksbeziehungen keine Tabus mehr sind und sogar Prostitution sowie der zunehmende Drogenmissbrauch thematisiert werden.

Die 19-Jährige ist noch immer verärgert über die jüngste Welle der Zeitungsverbote und informiert sich jetzt über Satellitenfernsehen sowie im Internet-Café. Die junge Lehrerin Pardis, die besonders die Karikaturen in den Reformblättern immer schätzte, sekundiert: "Jetzt wäre eine Karikatur angebracht, auf der das gesamte iranische Volk im Gefängnis zu sehen ist." Denn schließlich wolle man mit Gewalt alle Meinungen von den Menschen fernhalten, die nicht die der konservativen Mullahs ist.

Dass die Studenten trotz ihrer wachsenden Ungeduld gegen die Zeitungsverbote dieses Mal nur sehr vorsichtig protestiert haben, hält Roya für richtig. "Die Studentenorganisation hat in den vergangenen Wochen immer wieder an uns appelliert: "Wenn ihr auf die Straße geht, nutzen die Hardliner das aus, schlagen die Demonstration blutig nieder und verschieben den Antritt des neuen Parlaments." Die jungen Leute haben große Erwartungen an die neue Volksvertretung. "Sie werden die Reformzeitungen wieder zulassen und die Kulturvielfalt vorantreiben", gibt sich Architekturstudent Mehrdad optimistisch. "Der Reformprozess ist nicht mehr zu stoppen." In einigen Jahren, so hofft er, werde vielleicht auch die Trennung von Religion und Politik im Iran Einzug halten. Die Gelehrten sollten zwar nicht verschwinden, ihr Einfluss aber solle sich auf religiöse Fragen beschränken.

Managementstudent Reza ist da pessimistischer. Zwar steuere der Iran wohl auf eine Art islamische Demokratie zu. "Aber das wird sehr langsam gehen." Er befürchtet zudem, dass die Hardliner ihre immer noch überwältigende Macht in den kommenden Monaten besonders stark demonstrieren werden. Vor allem die Jugendlichen unter 20 Jahren fordern ein schnelleres Reformtempo, während die Studenten höherer Semester zu mehr Vorsicht mahnen. Brennend interessiert alle eine Frage: Wird es den Reformkräften gelingen, die Wirtschaft anzukurbeln und mehr Arbeitsplätze für die jungen Iraner - 50 Prozent sind unter 20 Jahre - zu schaffen? Denn schon jetzt zeichnet sich gerade bei Akademikern ein beunruhigender Trend ab: Aus Verzweiflung über fehlende Jobs und viel zu geringe Löhne (300 bis 500 Mark für junge Ingenieure) beantragen immer mehr Akademiker Arbeitsvisa für das Ausland. Der "brain drain" ist in vollem Gange. "Für uns gibt es hier wenig Hoffnung", heißt es unisono in diesen Tagen in den Warteschlangen bei ausländischen Botschaften.