Die Welt, 26.5.2000

"Bis 2002 brauchen wir ein Einwanderungsgesetz"

Grünen-Fraktionschef Rezzo Schlauch fordert von SPD mehr Mut zur Debatte - Bundeswehrreform eine Frage des Geldes

Die Bündnisgrünen stehen in den Ländern und im Bund unter starkem Druck: Wähler und Themen drohen ihnen davonzulaufen. Realo und Fraktionschef Rezzo Schlauch will der Partei wieder Profil geben - bei den Reizthemen Einwanderung und Bundeswehr. Mit Schlauch sprachen Armin Fuhrer und Michael J. Inacker.

DIE WELT: Wie will sich Ihre Partei profilieren? Bei der Einwanderung, wo Sie Druck auf die SPD ausüben?

Rezzo Schlauch: Wir müssen uns ernsthaft um die Frage der organisierten Einwanderung kümmern. Uns geht es um eine grundsätzliche Lösung. Aber die Diskussion darf nicht ideologisiert werden.

DIE WELT: Ist es notwendig, die Union mit ins Boot zu nehmen?

Schlauch: Die verunglückte Diskussion um die Staatsbürgerschaft hat gezeigt, dass es ratsam wäre, alle gesellschaftlichen Kräfte mit ins Boot zu nehmen. Wir sollten versuchen, das mit der Union voranzutreiben, um die alten ideologischen Schlachten hinter uns zu lassen. Ich beobachte mit Interesse, dass in der Union die alten Betonpositionen bröckeln.

DIE WELT: Aber der Streit um das Asylrecht steht im Weg . . .

Schlauch: Wir sehen anhand der stark zurückgegangenen Zahlen der Asylbewerber, dass Artikel 16 des Grundgesetzes noch von der Kohl-Regierung so verändert worden ist, dass es um keine relevanten Größenordnungen mehr geht. Es ist mit uns aber nicht durchzusetzen, Einwanderungsgesetz und Änderung des Asylrechts in einem Aufwasch zu machen. Das Grundrecht auf Asyl ist nicht zuletzt wegen der Geschichte ein integraler Bestandteil unserer Verfassung.

DIE WELT: In der SPD gibt es Stimmen, die sagen, man sollte da erst einmal die Finger von lassen.

Schlauch: Die Sozialdemokraten könnten an diesem Punkt etwas mutiger sein, weniger abhängig von den Gewerkschaften, die bei diesem Thema sehr ablehnend sind. Wir möchten das Einwanderungsgesetz möglichst noch in dieser Legislaturperiode hinbekommen. Aber klar ist: Ein Hauruckverfahren wie beim Staatsbürgerschaftsrecht sollten wir uns diesmal nicht leisten. Wir brauchen eine breite gesellschaftliche Debatte.

DIE WELT: Die Grünen wirken im Moment in ihrem Verhältnis zum großen Koalitionspartner sehr zurückhaltend. Haben sie Angst vor Konflikten mit der SPD?

Schlauch: Nein, Angst haben wir nicht. Aber wir haben im vergangenen Jahr gemeinsam die Erfahrung gemacht, dass uns die öffentlich ausgetragenen Konflikte fast an den Rand des Abgrunds gebracht haben. Deshalb war es notwendig, eine konstruktive Atmosphäre herzustellen. Das ist uns ja auch bei den Reformwerken wie der Steuerreform sehr gut gelungen. Wir werden und müssen jetzt nicht Konflikte um der Konflikte Willen zelebrieren. Aber an einigen Punkten gibt es unterschiedliche Auffassungen, die nicht unüberwindbar sind, die aber von uns deutlich gemacht werden müssen.

DIE WELT: Da fällt einem das Thema Bundeswehr ein. Schlauch: Die Weizsäcker-Kommission hat einen hervorragenden Bericht vorgelegt. Es ist sehr bedauerlich, dass ihre Empfehlungen so wenig berücksichtigt werden und stattdessen etwas beschlossen werden soll, das vielleicht zwei oder drei Jahre hält . . .

DIE WELT: ... also das, was Scharping jetzt plant?

Schlauch: Ich habe den Eindruck, die SPD will sich jetzt so ein bisschen über die Zeit retten. Sie hat offenbar Probleme - wie auch die Union -, sich von der überkommenen Konzeption des Territorialheeres zu trennen. Man drückt sich um Fragen wie die nach der Zukunft der Wehrpflicht. Ich glaube, wir haben die stärkeren Argumente auf unserer Seite. Der vom Verteidigungsminister gesetzte enge Zeitplan ist für mich ein Indiz dafür, dass er sich seiner Argumente gar nicht so sicher ist. Sonst müsste man darüber nämlich eine breit angelegte Diskussion führen.

DIE WELT: Das heißt also, sollte es eine Reform nach Scharpings Vorstellungen geben, würde die Debatte weitergehen?

Schlauch: Ich will es mal so sagen: Die Bundeswehr bräuchte jetzt einen Scharnhorst des 21. Jahrhunderts. Oder einen Gneisenau. Bei Rudolf Scharping bleiben wichtige Fragen wie die der Wehrpflicht oder der Finanzierung offen.

DIE WELT: Bei der Frage der Wehrpflicht geht es in erster Linie um die Frage der Finanzierbarkeit?

Schlauch: Ja. Es wäre politisch abenteuerlich, wenn wir wegen der Bundeswehr den Konsolidierungskurs der Bundesregierung, der für uns ja eine politische Leitlinie ist, verlassen würden. Da bin ich mir mit Finanzminister Eichel und Bundeskanzler Schröder einig. Das wäre ein Fehler, den wir nicht wieder gutmachen könnten.

DIE WELT: Die Vorstellungen Scharpings - 270 000 Mann mit starker Wehrpflichtkomponente - halten Sie finanziell für nicht darstellbar?

Schlauch: Für sehr schwer darstellbar. Ich bin gespannt, was da für ein Zahlenwerk aufkommt. Was ich sagen will, ist: Ich halte es für unvorstellbar, dass wir die gute, liebe, alte Bundeswehr der früheren Jahre beibehalten plus eine hochmoderne Einsatztruppe. Das ist nicht finanzierbar. Scharping bleibt hier auf halbem Wege stehen.