Berliner Zeitung, 26.5.2000

Türkei will USA bei Raketenabwehr unterstützen

Frühwarnsystem könnte entlang der türkischen Grenze zu Syrien und Irak stationiert werden Bettina Vestring

FLORENZ, 25. Mai. Die Türkei wird sich vermutlich bereit erklären, die USA bei der Errichtung ihres umstrittenen Raketen-Abwehrsystem zu unterstützen. Nach Angaben aus türkischen Regierungskreisen sicherte Außenminister Ismail Cem seiner amerikanischen Kollegin Madeleine Albright zu, seine Regierung werde eine entsprechende US-Anfrage prüfen. Möglicherweise könnten amerikanische Frühwarn-Systeme entlang der türkischen Grenze zu Syrien, dem Irak und dem Iran installiert werden. Das geplante US-Raketenschutzschild kann nur dann funktionieren, wenn solche Radaranlagen rechtzeitig den Start feindlicher Langstreckenwaffen melden.

"Wir haben eine grundsätzlich positive Einstellung zu dem Projekt, sagte Cem am Donnerstag der "Berliner Zeitung". Mit dieser Äußerung stellte sich der türkische Außenminister gegen die meisten europäischen Nato-Länder, die große Bedenken gegen das Raketen-Projekt haben. Sie befürchten, dass der Bau des Raketen-Abwehrsystems einen neuen Rüstungswettlauf in Gang bringen könnte.

Mehr Mitsprache gefordert

Auch in einem zweiten Punkt liegt Cem mit den meisten seiner europäischen Kollegen über Kreuz: Die türkische Regierung fordert eine sehr viel weiter reichende Beteiligung an der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, als die EU-Länder ihr zugestehen wollen. Sie verweist dabei nicht nur auf den militärischen Beitrag, den sie bei gemeinsamen Aktionen erbringen könnte. Sie befürchtet auch, von Militäreinsätzen der EU mitbetroffen zu sein.

Die Spannungsgebiete auf dem Balkan oder im Kaukasus, wo ein europäischer Einsatz denkbar wäre, liegen in der Nachbarschaft der Türkei. Sollte es dort Kämpfe geben, würde die Türkei vermutlich in Mitleidenschaft gezogen. Die Regierung in Ankara erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass während des Golfkriegs über 400 000 Flüchtlinge Schutz in der Türkei gesucht hatten.

Die türkische Regierung verlangt von der EU deswegen, von Anfang an in die Entscheidungsprozesse im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik einbezogen zu werden. Sie will dieselben Rechte, die sie bisher als assoziiertes Mitglied der Westeuropäischen Union (WEU) hatte, künftig auch innerhalb der EU ausüben. In dem bisherigen europäischen Verteidigungsbündnis hatte Ankara zwar kein Stimmrecht, durfte aber an allen Sitzungen und Besprechungen teilnehmen.

Die EU-Länder haben bereits entschieden, die wesentlichen Funktionen der WEU in den nächsten drei Jahren auf die EU-Gremien zu übertragen, um dann im EU-Rahmen über eigene Militäreinsätze beschließen zu können. Sie sind sich auch einig, dass Nicht-EU-Länder auf keinen Fall in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden sollten. Am Montag einigten sich die politischen Direktoren der 15 EU-Länder auf einen Entwurf, der dieses Prinzip in aller Form festschreibt. Die Gemeinschaft werde anderen Staaten zwar Konsultationen anbieten, heißt es dort. Es wird allerdings betont, dass das Recht der EU, ihre Entscheidungen allein zu treffen, nicht angetastet werden dürfe.

Mit Zypern an einem Tisch

"Die EU-Vorschläge räumen unsere Sorgen nicht aus", sagte ein türkischer Regierungsvertreter. "Wir werden in die EU-Entscheidungsverfahren einfach nicht weit genug einbezogen." Die Türkei halte es zudem für nicht akzeptabel, dass die EU einen einzigen Konsultationsrahmen für die Nato-Länder und für die Kandidaten für einen EU-Beitritt plane. Es sei für die Türkei unmöglich, über Nato- und Sicherheitspolitik zu diskutieren, wenn zum Beispiel auch Vertreter Zyperns mit am Tisch säßen.

Cem nutzte die Nato-Frühjahrstagung in Florenz, um auch mit dem niederländischen Außenminister über die Bedenken der EU zu sprechen. Ein europäischer Diplomat machte aber deutlich, dass mit einem Nachgeben der Gemeinschaft wohl kaum zu rechnen sei. Das Vorschlagspapier zur Verteidigungspolitik sei im Einvernehmen aller 15 Regierungen der Europäischen Union entworfen worden und werde voraussichtlich in aller Form vom EU-Gipfel im Juni in Feira angenommen. Spielraum für einen Kompromiss gebe es da nicht mehr. "Die Türkei wäre ohnehin erst dann zufrieden, wenn sie in vollem Umfang mitentscheiden kann", sagte der Diplomat. "Aber das ist ganz und gar undenkbar."