junge Welt, 25.05.2000

Letzte Rettung Kirchenasyl

Nach der Abschiebung des Vaters sucht kurdische Familie Schutz in Studentengemeinde Mainz

Der Fall Akyüz sorgt weiter für Schlagzeilen. Den Kabarettisten Dieter Hildebrandt will die Wiesbadener CDU anzeigen, weil er in seiner Fernsehsendung Scheibenwischer mit Blick auf die »Damen und Herren«, die sich trotz drohender Verfolgung und Folter für Abschiebungen aussprechen, die Frage aufgeworfen hatte, ob diese Leute »vielleicht nachträglich in die SS eintreten« wollen.

Der kurdische Familienvater Abdulcabbar Akyüz war auf Anordnung der Wiesbadener Ausländerbehörde in die Türkei abgeschoben worden und dort in die Fänge der Sicherheitskräfte geraten (jW berichtete): Um seinen Peinigern zu entgehen, hält sich Herr Akyüz derzeit in der Türkei versteckt. Neu ist: Die anderen Familienangehörigen befinden sich seit Dienstag im Kirchenasyl in Mainz. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wiesbaden, daß auch Frau Akyüz und die Kinder der insgesamt elfköpfigen Familie Deutschland verlassen müssen, obwohl sowohl die Mutter als auch der älteste Sohn in der Vergangenheit Opfer von Folter und sexueller Gewalt geworden waren, konnte damit trotz aller polizeilichen Bemühungen, die Abschiebung durchzuführen, nicht umgesetzt werden. Ein Großeinsatz der Polizei, bei dem Ende April Dutzende Polizeibeamte um 4.30 Uhr vor dem Wohnheim der Familie Akyüz auftauchten, hatte nicht den von der Wiesbadener Ausländerbehörde gewünschten Erfolg. Die im Morgengrauen auftauchenden Polizisten fanden in dem Haus niemanden mehr vor.

Gescheitert ist auch der am Dienstag früh unternommene Versuch, durch eine polizeiliche Abriegelung sämtlicher Zugänge und strenge Personenkontrollen vor der Evangelischen Studentengemeinde Mainz (ESG) das den staatlichen Stellen offenbar bekanntgewordene Vorhaben, der Familie Akyüz Kirchenasyl zu gewähren, auf jeden Fall zu verhindern. Zum Zeitpunkt der Polizeiaktion hielt sich die Familie bereits in der Kirche der Mainzer Studentengemeinde auf.

Mit dem Kirchenasyl soll die Möglichkeit geschaffen werden, so der Unterstützerkreis, die Abschiebung der Familie zu verhindern, »bis der Rechtsweg ausgeschöpft ist«. Der Rechtsanwalt der Familie, Uwe Remus, hat beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde gegen die bisherigen Beschlüsse der zuständigen Wiesbadener Ausländerbehörde und des Verwaltungsgerichts eingelegt. Unterdessen haben sich die drei Kirchengemeinden ESG Mainz, Evangelische Kreuzkirchengemeinde Wiesbaden und Katholische Gemeinde St. Elisabeth Wiesbaden zu einem offenen ökumenischen Bündnis Kirchenasyl Mainz/Wiesbaden zusammengeschlossen und rufen andere Gemeinden und Organisationen dazu auf, sich diesem Bündnis anzuschließen.

Thomas Klein

* Zur Finanzierung des Kirchenasyls werden Spenden erbeten an: Ev. Kreuzkirchengemeinde, Nassauische Sparkasse Wiesbaden, Konto-Nr. 117008568, BLZ 510 500 15.