Frankfurter Rundschau, 25.5.2000

Zeuge, Kronzeuge

Auf der Konferenz der Justizminister haben die unionsregierten Länder gefordert, die Kronzeugenregelung wieder einzuführen. Rot-Grün hatte das zeitlich befristete Gesetz Ende 1999 auslaufen lassen.

Der Zeuge, als geziuc im12. Jahrhundert erstmals aktenkundig (Grimmsches Wörterbuch), hat mit dem mittelhochdeutschen Begriff geziuge den gleichen Ursprung wie das Wort ziehen - eine vor Gericht gezogene Person, heißt es im Ethymologie-Duden. Wortverwandt ist natürlich der Überzeugungstäter.

Der Kronzeuge, 1989 zur Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität installiert, glich einem Kuckucksei im deutschen Rechtssystem. Denn die verfassungsmäßige Pflicht des Staats zur Strafverfolgung (Legalitätsprinzip) lässt es eigentlich nicht zu, dass ein Tatbeteiligter mit milder oder gar ohne Strafe davonkommt, wenn seine Aussage über seinen eigenen Tatbeitrag hinaus zur Aufklärung des Delikts beiträgt oder künftige Straftaten verhindert oder zur Ergreifung anderer Täter führt. Wer etwas begangen hat, muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden, und wer Zeuge ist, muss aussagen. Da war bis 1989 - von einer Ausnahme bei Drogendelikten abgesehen - kein Raum für Tauschgeschäfte.

Der Kuckuck zum Ei ist das anglo-amerikanische Recht. Der Zeuge der Krone war stets der Mann der Obrigkeit. An dieser Systematik änderte sich auch in der nordamerikanischen Republik wenig. Für den Staatsanwalt existiert die Alternative des Freispruchs nicht, der "Zeuge des Staats" wird als Beweismittel für die Schuld eingesetzt.

In Deutschland hingegen ist die Staatsanwaltschaft gesetzlich gebunden, Belastendes und Entlastendes gleichermaßen zu sammeln. Deshalb nennt sie sich gern die "objektivste Behörde der Welt", was nicht überall Zustimmung findet. Die Gefahr einseitiger Ermittlung wurde durch die Kronzeugenregelung gewiss nicht vermindert. (Schö)