taz Nr. 6150 vom 24.5.2000 Seite 7

Die Nato auf die Anklagebank gesetzt

Das internationale Tribunal über den Nato-Krieg im Kosovo präsentiert eine umfangreiche Anklageschrift BERLIN taz Gestern stellten Vertreter eines "Europäischen Komitees zur Vorbereitung eines internationalen Tribunals über den Nato-Krieg gegen Jugoslawien" ihr Tribunalprojekt für Berlin vor. Die Berliner Veranstaltung, die am 2. und 3. Juni in der Heilig-Kreuz-Kirche stattfinden soll, wird von über 60 Friedensgruppen getragen, unter anderem der Internationalen Liga für Menschenrechte, medico international sowie der Christlichen Friedenskonferenz.

Die Vertreter des Komitees präsentierten eine umfängliche Anklageschrift. Nach Ansicht des Komitees hat die Nato den Krieg durch die massive Interventionsdrohung mitprovoziert. Zahlreiche Daten zu Zerstörungen und Verlusten an Menschenleben infolge der Luftangriffe werden aufgezählt. Juristisch wird dargetan, dass die Angriffe der Nato auf Jugoslawien die UN-Charta und zahlreiche Normen des Völkerrechts verletzt haben. Darüber hinaus wird für die deutsche Beteiligung festgestellt, dass sie mit dem Grundgesetz unvereinbar sei. An Angeklagten herrscht kein Mangel. Die Liste umfasst die Staatschefs der Nato-Staaten, deren Funktionsträger sowie alle Bundestagsabgeordneten, die der NATO-Intervention zustimmten. Von einer Verteidigung war in den Dokumenten des Komitees nicht die Rede. Das Tribunal will an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag die Aufforderung richten, Ermittlungen gegen die Nato aufzunehmen.

Den Vorsitz des Tribunals übernimmt die Innsbrucker Sozialwissenschaftlerin Claudia von Werlhoff. Für den Vorsitz des Gerichts soll der Hamburger Völkerrechtler Norman Paech gewonnen werden. Die Anklage werden Anwälte aus Paris, Berlin und Sofia vertreten. Auch in anderen Städten haben schon Tribunale stattgefunden bzw. sind welche geplant, darunter in New York am 10. Juni unter Vorsitz des ehemaligen US-Justizministers Ramsey Clark. C.S.