web de 22.05.2000 21:38

Israelis greifen rückkehrende Zivilisten in Südlibanon an

Fünf Menschen getötet - SLA offenbar in Auflösung begriffen - Über 100 Milizionäre übergelaufen - Israel droht mit erneutem Einmarsch in Sicherheitszone

Beirut (AP)

Angesichts des israelischen Rückzugs aus Südlibanon droht die Lage in der so genannten Sicherheitszone außer Kontrolle zu geraten. Während tausende Angehörige moslemischer Guerillaorganisationen und ihre Familien in ihre geräumten Dörfer in Südlibanon zurückkehrten, befand sich die mit Israel verbündete Miliztruppe Südlibanesische Armee (SLA) offenbar weitgehend in Auflösung. Über 100 Milizionäre liefen am Montag auf die libanesische Seite über, andere ersuchten in Israel um Asyl. Noch intakte SLA-Truppenteile zogen sich nach Süden zurück, um nahe der israelischen Grenze eine neue Verteidigungslinie zu errichten.

Timur Göksel, der Sprecher der UN-Truppe in Südlibanon (UNIFIL), sagte am Montag, die SLA habe als einheitliche Truppe praktisch aufgehört zu bestehen. Der libanesische Staatspräsident Emile Lahud erklärte im libanesischen Fernsehen, alle, die mit Israel kollaboriert hätten, müssten sich vor dem Gesetz verantworten.

Die Rückkehr der Freischärler in insgesamt 14 Dörfer in Südlibanon löste auch in Nordisrael Furcht vor neuen Angriffen aus. Die Bewohner grenznaher Ortschaften begaben sich auf Anordnung des Militärs in Bunker und Schutzräume. Nach Ansicht von Beobachtern könnte die Auflösung der SLA die Israelis zwingen, ihren Abzug zu beschleunigen, der eigentlich erst am 7. Juli abgeschlossen werden sollte.

Offenbar in der Absicht, den Strom der Libanesen in die geräumten Dörfer zu stoppen, griffen die israelischen Streitkräfte und SLA-Einheiten nach Angaben libanesischer Sicherheitskreise am Montag die Rückkehrer mit Hubschraubern und Panzern an. Dabei wurden fünf Menschen getötet und mehrere andere verwundet.

Der stellvertretende israelische Verteidigungsminister Ephraim Sneh drohte mit einem erneuten Truppeneinmarsch nach dem Abzug aus der Sicherheitszone, falls die Untergrundorganisation Hisbollah israelische Ortschaften an der Grenze bedrohe. Er kritisierte, dass die Friedenstruppen der Vereinten Nationen das Vordringen von Anhängern der Hisbollah in die Sicherheitszone zuließen. Wenn die UN-Truppen nach dem israelischen Abzug das Machtvakuum nicht ausfüllten, werde dies die Hisbollah tun. Die Regierung warf am Montag UN-Soldaten vor, die Anhänger der Hisbollah und der Amal-Miliz seien über von ihnen kontrollierte Übergänge in die Sicherheitszone gelangt und von UN-Mitarbeitern begleitet worden. Die UN-Truppen trügen zu einer Eskalation der Lage bei, hieß es in einer Erklärung der Regierung.

«Israel wird Syrien und Libanon verantwortlich machen»

Der israelische Ministerpräsident Ehud Barak erklärte unterdessen, Israel werde Syrien und Libanon dafür verantwortlich machen, wenn es beim israelischen Rückzug zu Gewalttätigkeiten komme. Er telefonierte auch mit US-Außenministerin Madeleine Albright, die ihm versichert habe, dass die USA «eine Rolle beim Rückzug spielen würden». Einzelheiten nannte er nicht.