Süddeutsche Zeitung, 23.5.2000

Bündnis für Toleranz nur auf dem Papier

"Schily ist eine Belastung"

Pfarrer Jürgen Micksch erhebt Vorwürfe gegen Bundesregierung

Am Verfassungstag findet heute in Berlin, veranstaltet von Bundesinnenminister Otto Schily und Justizministerin Herta Däubler-Gmelin, die Auftaktveranstaltung des "Bündnisses für Demokratie und Toleranz" statt. Heribert Prantl sprach darüber mit dem evangelischen Pfarrer Jürgen Micksch, dem Vorsitzenden des Interkulturellen Rates in Deutschland.

SZ: Warum brauchen wir ein "Bündnis für Demokratie und Toleranz"?

Micksch: Im europäischen Vergleich haben wir in Deutschland und Belgien die fremdenfeindlichsten Einstellungen. Die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen zur Überwindung von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus hat nur eine begrenzte Wirkung. Hier brauchen wir staatliche Unterstützung.

SZ: Wie weit ist die gediehen?

Micksch: Das Bündnis existiert nur auf dem Papier. Mir ist bis heute nicht klar, wer die Partner sein sollen. Ich bin zwar auch Mitglied des Forums gegen Rassismus, das vom Bundesinnenministerium organisiert wird. Wir haben aber dort außer Ankündigungen Präzises nicht gehört.

SZ: Derzeit handelt es sich wohl um ein Bündnis des Innen- und des Justizministeriums.

Micksch: Das ist zutreffend.

SZ: Von diesem Bündnis war schon in der rot-grünen Koalitionsvereinbarung die Rede. Was wurde seitdem gemacht?

Micksch: Das Bündnis sollte ein Schwerpunkt der Tätigkeit der neuen Regierung sein, es verbanden sich hohe Erwartungen damit. Aber dann gab es einen schleppenden Entscheidungsprozess, der überzeugende Konzeptionen vermissen ließ. Bei einer Anfrage hat die Regierung erklärt, Nichtregierungsorganisationen sollten eine Schlüsselfunktion im Bündnis haben. Aber der Innenminister wollte das wohl nicht so richtig.

SZ: Bei der Veranstaltung wird heute nicht, wie geplant, ein Manifest verkündet werden. Warum nicht?

Micksch: Der Entwurf dazu ist allein zwischen den Ministerien und den Koalitionspartnern verhandelt worden. Mir ist nicht bekannt, dass irgendeine Nichtregierungsorganisation einbezogen war.

SZ: Welche Rolle spielt denn der Innenminister beim geplanten Bündnis?

Micksch: Minister Schily ist eine Belastung für dieses Bündnis. Er müsste sich von manchen seiner Äußerungen distanzieren, wenn es zu einer qualifizierten Zusammenarbeit kommen sollte.

SZ: Zum Beispiel?

Micksch: . . . seine Formulierung, dass die Belastungsgrenze für Zuwanderung überschritten sei. Das schürt Ängste und Vorurteile. Ich erwarte, dass er sich selbst hiervon bei der Auftaktveranstaltung öffentlich distanziert. Wir hatten ihn wegen dieser Äußerung im Forum gegen Rassismus um Gespräche gebeten. Er ist diesen Gesprächen bisher ausgewichen. In einem funktionierenden Bündnis kann das so nicht laufen.

SZ: Was erwarten Sie sich denn von einem Bündnis für Demokratie und Toleranz, das richtig funktioniert?

Micksch: Wir müssen der Stimmungsmache bei Wahlkämpfen entgegenwirken - am besten dadurch, dass, wie in Belgien, die politischen Parteien keine Wahlkampfkostenerstattung erhalten, die durch fremdenfeindliche Kampagnen Stimmen zu gewinnen versuchen.