junge Welt, 23.05.2000

Staatsrassismus ausgeblendet

»Bündnis für Demokratie und Toleranz« stellt sich heute in Berlin vor.

jW-Bericht

Mit Pomp und Getöse stellen heute Vertreter der Bundesregierung ihre Initiative gegen Rassismus, das sogenannte »Bündnis für Demokratie und Toleranz - Gegen Extremismus und Gewalt« der Öffentlichkeit vor. Auf einer Festveranstaltung in der Berliner Staatsoper wollen Innenminister Otto Schily und Justizministerin Herta Däubler- Gmelin (beide SPD) das Anliegen des Projektes, das Bestandteil des rot-grünen Koalitionsvertrages ist, vorstellen. Zum Inhalt schreibt das Bundesinnenministerium auf seiner Internet-Seite: »Unser Staat und unsere Gesellschaft, jeder Einzelne sind nicht bereit, undemokratisches, intolerantes, extremistisches und fremdenfeindliches Verhalten hinzunehmen, zu dulden oder gar zu entschuldigen.«

Schon vor der Feierstunde gab es Unmut, weil viele Gruppen, die sich für Ausländer und Flüchtlinge einsetzen, nicht zu der offiziellen Eröffnung eingeladen worden sind. Zeitgleich mit der offiziellen Auftaktveranstaltung treffen sich daher auf dem Bebelplatz die Initiativgruppen, um über ihre Arbeit und Erfahrungen zu berichten. Die Veranstaltung im Apollosaal der Staatsoper wird auf den Platz übertragen.

Amnesty international, Pro Asyl und die Aktion Courage haben aus Protest gegen die Ausgrenzung der Bündnispartner angekündigt, nicht an dem Staatsakt teilzunehmen. Als tägliche Kämpfer gegen Intoleranz und Diskriminierungen sähen sie ihre Rolle nicht darin, auf einer Festveranstaltung anwesend zu sein und sich an einer Aktion der Bundesministerien zu beteiligen, die ohne ihre Beteiligung konzipiert sei, argumentierten sie. Brigitte Erler, Sprecherin der Aktion Courage, betonte gegenüber jW, das Regierungsprojekt habe »überhaupt kein Konzept«. Ohne eine »definierte Zielsetzung« ergebe dessen Gründung jedoch keinen Sinn. Die genannten Organisationen treten bei der vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) organisierten »Ergänzungsveranstaltung« auf.

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl kritisierte am Montag in Frankfurt am Main, die Gründungsveranstaltung sei eine »inszenierte Feierstunde in geschlossener Gesellschaft ohne adäquate Einbeziehung von Menschenrechtsorganisationen«. Pro Asyl-Sprecher Heiko Kauffmann betonte, das Motto der Veranstaltung »Hinschauen-Helfen-Handeln« wirke »in seiner Vereinfachung eher kontraproduktiv«. Es verstelle den Blick auf »die staatlichen, die institutionellen Anteile von Rassismus«. Das Bündnis müsse sich »auch gegen die staatliche Asylpolitik und die inhumane Abschiebepraxis in Deutschland und an den verantwortlichen Bundesminister ersönlich« wenden, so Kauffmann. Pro Asyl starte in diesen Tagen eine bundesweite Kampagne gegen die Abschiebungen von Flüchtlingen mit dem Flugzeug. Sie soll insbesondere Flugreisende über das Thema Abschiebungen informieren und sensibilisieren. Anlaß der Aktion ist der erste Todestages von Aamir Ageeb, der bei eine Abschiebung im Flugzeug Ende Mai 1999 ums Leben kam.

Nach Informationen des Nachrichtenmagazins Der Spiegel ist offenbar auch intern bei der Vorbereitung der Regierungsinitiative einiges schief gelaufen. Danach wird trotz einer in der vergangenen Woche abgehaltenen rot-grünen Krisensitzung voraussichtlich nicht einmal ein gemeinsames Manifest formuliert, weil sich Fraktionen und Innenministerium nicht auf einen Text einigen konnten.