Darmstädter Echo, 22.5.2000

Kurdischer Asylbewerber muss ins Gefängnis

22 Monate Haft für jenen Mann, der vor Kreisflüchtlingsamt sich und die Leiterin mit Benzin verbrennen wollte

DARMSTADT/HEPPENHEIM (mai). Der kurdische Asylbewerber, der sich am 14. Januar 1998 im Kreisflüchtlingsamt in Heppenheim mit Benzin übergossen und gedroht hat, sich und die Leiterin anzuzünden, muss ins Gefängnis. Das entschied die Darmstädter Berufungskammer am Donnerstag. Das Gericht verurteilte den 33 Jahre alten Mann aus dem Gorxheimertal nach umfassender Beweisaufnahme und Zeugenanhörung wegen Nötigung, versuchter Erpressung in zwei Fällen, versuchter räuberischer Erpressung und Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten. Der sechsfache Familienvater musste sich bereits zum zweiten Mal vor Gericht verantworten, da er gegen eine erstinstanzliche Verurteilung des Amtsgerichts Bensheim zu zwei Jahren und zwei Monaten Berufung eingelegt hatte. Sein Verteidiger Dr. Gerhard Härdler (Heidelberg) hatte als Ziel der Berufung eine Freiheitsstrafe zur Bewährung genannt und das Bensheimer Urteil als "korrekturbedürftig" und in seiner Höhe überzogen bezeichnet. Mit dieser Vorgabe sind der Asylbewerber und sein Rechtsanwalt gescheitert.

Der Vorsitzende der Berufungskammer, Richter Günther Lachmund, begründete den gewährten Strafrabatt mit höchstrichterlicher Rechtssprechung. Demnach sei bei mehreren Taten, die sich wie hier in einem zeitlich eng begrenzten Zusammenhang von wenigen Tagen ereigneten, eine Strafreduzierung beziehungsweise eine Gesamtstrafe auszusprechen. Eine Strafaussetzung zur Bewährung komme dagegen nicht in Betracht. Der Kammervorsitzende bedauerte, dass die Staatsanwaltschaft Darmstadt vor der Hauptverhandlung ihre Berufung gegen das Bensheimer Urteil zurückgenommen hatte.

Die hochexplosive Situation im Flüchtlingsamt war die Spitze eines Eisbergs und der Höhepunkt vorausgegangener Auseinandersetzungen zwischen dem Angeklagten und seiner Betreuerin, sowie dem Hausmeister des Asylantenheimes Schimbacher Hof in Birkenau und Mitarbeitern des Landratsamtes. Der Kurde, der sich als Anhänger der in der Türkei verbotenen PKK bezeichnet und mit einer Schlepperorganisation 1993 nach Deutschland gekommen war, fühlte sich und seine Familie permanent benachteiligt und schikaniert. Ausgangspunkt des verbal und körperlich ausgetragenen Streites war zunächst die Forderung des Dreiunddreißigjährigen nach einer eigenen Waschmaschine, später der Umzug in eine größere Wohnung nach Bensheim. Die Benutzung der Gemeinschaftswaschküche im Schimbacher Hof lehnte er ab.

Die Lage in der Odenwälder Asylantenunterkunft geriet Anfang Januar 1998 außer Kontrolle. Nachdem die Heimleiterin seine Wünsche erneut abgelehnt hatte, drohte er ihr, sie "tot zu machen" und machte dabei eindeutige Gebärden des Halsabschneidens. Die Sozialarbeiterin sagte auf Befragen des Gerichts, der Angeklagte habe sie bereits 1996 mit einem Knüppel geschlagen und sie leide noch heute unter Angstgefühlen. Auch dem Hausmeister gegenüber wiederholte er mehrfach seine Drohungen und zog dabei ein geschlossenes Klappmesser. Er werde das ganze "Flüchtlingsamt tot zu machen".

Als alle Drohgebärden nichts fruchteten, holte der Angeklagte eigenhändig die Waschmaschine aus dem Gemeinschaftskeller und brachte sie in seine Wohnung. Den vom Ersten Kreisbeigeordneten Egon Straub und der Leiterin des Kreisflüchtlingsamtes umgehend angeordneten Rücktransfer des Gerätes brachte den kurdischen Asylbewerber derart aus der Fassung, dass er sich noch am gleichen Tag "in erheblichem Erregungszustand" auf den Weg zum Landratsamt machte. Dabei hatte er eine leere Flasche, die er an einer Tankstelle mit Benzin füllen ließ.

Im Flüchtlingsamt forderte er jetzt von der Leiterin eine größere Wohnung für sich und seine Familie, und als seine Ansprechpartnerin dies ablehnte, übergoss er sich mit Benzin, hantierte mit einem Feuerzeug herum und drohte sich und die Frau anzuzünden. "Es war eine hochbrisante Situation, die mehrere Stunden andauerte", bestätigten mehrere Zeugen vor Gericht. Der Angeklagte habe zeitweise geweint, einen verzweifelten Eindruck gemacht und "von seinen Problemen erzählt. Er schien in einer für sich ausweglosen Situation". Sein Feuerzeug habe er die ganze Zeit über nicht aus den Händen gegeben. Erst durch die Zusage eines Sozialarbeiters und die Bestätigung des Ersten Kreisbeigeordneten, dass er mit seiner Familie eine größere Wohnung beziehen könne, habe sich die Lage entspannt.

"Er fühlte sich von den Mitarbeiterinnen des Flüchtlingsamtes gedemütigt und diskriminiert." Angeblich habe man ihm mehrfach gedroht, ihn in die Türkei abzuschieben, wo ihm Folter und Verfolgung drohe, berichtete der psychiatrische Sachverständige Dr. Hartmut Berger (Riedstadt). Der Angeklagte sei im Übrigen völlig normal und ein psychisch gesunder Mensch. Eine verminderte Schuldfähigkeit sei lediglich bei dem letzten und spektakulärsten Vorfall im Flüchtlingsamt nicht auszuschließen. "Es gibt keine Symptome für eine Affekttat. Er war durchaus ansprechbar, und als man ihm ein konkretes Wohnungsangebot machte, hat er angemessen darauf reagiert ".

Nicht einverstanden mit dem Gutachten des Sachverständigen zeigte sich der Verteidiger des kurdischen Asylbewerbers, der eine Korrektur des Bensheimer Urteils zu Gunsten seines Mandanten für unumgänglich hielt. "Das ist ein typischer Fall für eine Bewährung". Der Angeklagte sei kein rücksichtsloser Mensch. Er habe sich Anfang 1998 in einer "Ausnahmesituation" befunden.

"Wenn er seine Interessen nicht umsetzten konnten, hat er brutal reagiert und ist über Leichen gegangen", lautete dagegen die Einschätzung von Staatsanwalt Harald Turner. Der Angeklagte sei nicht erst 1998 straffällig und gewalttätig geworden, sondern habe seine Betreuerin bereits 1996 mit einem Knüppel auf dem Kopf geschlagen und dabei verletzt. Er habe zudem mehrere Personen in Angst versetzt, und seinem rücksichtslosen Handeln sei es zu verdanken, dass das Flüchtlingsamt seine Mitarbeiter mit Tränengas und Handy ausstatten musste, um sie besser schützen zu können. Das Urteil des Amtsgerichts Bensheim nannte der Staatsanwalt am "unteren Rand des Möglichen.