junge Welt, 20.05.2000

Interview
Rassistische Grundhaltung in deutschen Gesetzen?

jW sprach mit Rechtsanwalt Uwe Remus; er vertritt die kurdische Familie Akyüz vor baden-württembergischen Behörden

F: Die Abschiebung Ihres Mandanten Abdulcabbar Akyüz bzw. die Entscheidung der Wiesbadener Ausländerbehörde, die ganze elfköpfige Familie Akyüz müsse Deutschland verlassen, hat für bundesweites Aufsehen gesorgt. Warum?

Die Besonderheit des Falles der Familie Akyüz liegt darin, daß mittlerweile ausführlich dokumentiert worden ist, daß in der Vergangenheit sowohl der Vater als auch andere Familienangehörige von türkischen Sicherheitskräften mißhandelt und gefoltert worden sind. Trotzdem haben die deutschen Behörden sowohl Herrn Abdulcabbar Akyüz als auch die anderen Familienmitglieder zur Abschiebung freigegeben.

Es wird schlichtweg behauptet, die erst nach einiger Zeit vorgebrachten Angaben, in der Türkei Opfer von Folter und sexueller Gewalt geworden zu sein, seien »verbraucht«, weil sie erst jetzt erfolgten. Dabei ist es in der Folter- und Traumaforschung Stand, daß Folteropfer häufig nicht von Anfang an über ihre Erlebnisse, über Folterungen reden können, sondern eine Zeit brauchen. Nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom September 1999 muß ein neuer Vortrag unabhängig von Fristen bezüglich Abschiebungshindernissen gemäß Paragraph 53 Ausländergesetz auf jeden Fall geprüft werden: Und wenn es eine Minute vor der Abschiebung ist. Herr Abdulcabbar Akyüz ist nach seiner Abschiebung am 17. Februar diesen Jahres verhört, mißhandelt und gefoltert worden. Zur Zeit hält er sich an wechselnden Orten in der Türkei versteckt.

F: Das heißt, die Justiz hat sich hier nicht mal an die »eigenen esetze« gehalten?

Ja, auf die neue Rechtsprechung ist das Verwaltungsgericht Wiesbaden nicht eingegangen. Der Beschluß des Gerichts enthält statt dessen eine Verschwörungstheorie gegenüber den Dorfbewohnern im Heimatdorf der Familie Akyüz. Den Dorfbewohnern wird unterstellt, daß sie einem Stern-Reporter das erzählt hätten, was dieser hören wollte.

F: Was hat der Stern-Reporter herausgefunden?

Dem vor Ort recherchierenden Journalisten wurde von verschiedenen Personen das bestätigt, was die Familie in der Vergangenheit erklärt hatte: Herr Abdulcabbar Akyüz sollte als Dorfschützer fungieren. Nachdem er sich weigerte, geriet er unter PKK-Verdacht. Er wurde danach mehrfach festgenommen und gefoltert. Das gleiche passierte mit dem ältesten Sohn der Familie, der sich derzeit noch in der Bundesrepublik aufhält.

Diese Rechercheergebnisse hat inzwischen auch ein ZDF- Fernsehteam bestätigt.

F: Wie geht es weiter?

Wir haben zur Zeit nur Entscheidungen in Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden, die Hauptverfahren laufen noch. Sollte die Entscheidung positiv sein, bleibt die Familie hier, und es wird weiter vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden verhandelt. Sollte das Verfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde bzw. die einstweilige Anordnung ablehnen, werde ich Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg erheben.

F: Von Hilfsorganisationen wurde darauf hingewiesen, daß der Fall Akyüz kein Einzelfall sei. Können Sie das bestätigen?

Allein in meiner Praxis - ich bin ausschließlich im Asyl- und Ausländerrecht tätig - habe ich solche Vorgänge leider dutzendfach. In der Bundesrepublik Deutschland ist die Asyl- und Ausländerpolitik der Herrschenden darauf ausgerichtet, den Zuzug von Ausländern und Asylsuchenden zu verhindern. Ich sehe den Grund dafür darin, daß bis tief in die Poren dieser Gesellschaft eine rassistische Grundhaltung besteht, die ihren Ausdruck auch in den Gesetzen und der Rechtsprechung findet.

Interview: Thomas Klein