Freitag, 19.5.2000

Detlev Lücke

'Glänzend besetzt'

RÜCKBLICK AUF EINEN KRIEG

Rudolf Scharping (SPD) verteidigt bei den Mainzer Fernsehtagen den deutschen Kriegseinsatz gegen Jugoslawien

Im Umfeld von Flughäfen seien im Frühjahr 1999 auch in seiner Heimat Rheinland-Pfalz verdächtig viele Spaziergänger mit Handys beobachtet worden. Von dieser Qualität waren die Mitteilungen, die der Bundesverteidigungsminister auf den diesjährigen Mainzer Fernsehtagen zum Thema "Krieg mit Bildern - wie Fernsehen Wirklichkeit konstruiert" dem Publikum machte. Im Unterschied zu den Fernsehberichterstattern, die ihre Arbeit vom Frühjahr des vergangenen Jahres durchaus kritisch reflektierten, hielt der Minister gusseisern an seiner Haltung zum Kosovo-Krieg fest. Auch Nachfragen nach seinen Medienauftritten zu Beginn des Krieges, nach seiner Präsentation von unpräzisem Bildmaterial aus Prishtina, mit dem er seinerzeit die Beteiligung deutscher Soldaten am NATO-Einsatz bekräftigte, stimmen ihn nicht um. Er gibt zwar zu, sehr emotional reagiert zu haben, aber "Empörung ist keine Politik, sondern ein Antrieb". Scharping ließ sich auch nicht darauf ein, den Tatbestand zu kommentieren, dass bei insgesamt 38.000 Flugeinsätzen der Alliierten lediglich 20 militärische Ziele getroffen wurden. Es habe sich schließlich auch um Betankungen und um Propagandaflüge gehandelt.

Auf die Frage eines Journalisten, ob die Europäer nicht von Amerikanern übertölpelt wurden, die die UÇK zum Bundesgenossen des Krieges machten, meinte der Minister, diese sei eine sehr "heterogene Truppe". In der Zusammenarbeit mit der NATO beklagte er ein "gewisses Informationsloch. Als ihn der Friedensforscher Dieter S. Lutz damit konfrontierte, dass man Kriege nicht führen könne, um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu installieren, blieb Scharping die Antwort schuldig. Er kritisierte die Medien, zu wenig über den Wiederaufbau des Kosovo zu berichten und informierte über eine Reise nach Ohrahovac, wo sich Albaner, Serben, Zigeuner gemeinsam um den Weinanbau kümmern würden. Den Hinweis Rupert Neudecks von "Kap Anamur", dass es auf lange Sicht keine multiethnischen Regionen in Kosovo mehr geben werde, womit das Kriegsziel verfehlt worden sei, konnte der Verteidigungsminister nicht widerlegen. Auf die Frage, ob der Bundeswehreinsatz außer Landes eigentlich noch vom Grundgesetz gedeckt sei, das ausschließlich von den Aufgaben der Landesverteidigung spricht, gebrauchte Scharping den Begriff der Bündnisverteidigung und verwies darauf, dass die Bundeswehrreform diesem Ziel dienen werde.

Wesentlich pragmatischer und differenzierter hatte Norbert Winterstein, der Stellvertreter Hans Koschnicks in Mostar, die Lage im ehemaligen Jugoslawien dargestellt und auf die Schwierigkeiten verwiesen, ein Kriegsgeschehen an Menschen eines Landes zu vermitteln, die seit 50 Jahren im Frieden leben. In diesem Zusammenhang machte der Marburger Medienwissenschaftler Karl Prümm den öffentlich-rechtlichen deutschen Sendeanstalten schwere Vorwürfe. ARD und ZDF hätten sich als verlängerter Arm der Regierung geriert und ihren Job vernachlässigt. Diesem "fernen Krieg ganz in der Nähe" habe beinahe jegliche Distanz der Berichterstatter gefehlt. Die gesendeten Bilder müssen einer Revision unterzogen werden. Prümm brachte zahlreiche Bildbeispiele für seine kritischen Behauptungen. "Das Fernsehen wurde in den ersten Kriegstagen zu einem Verlautbarungsorgan von Politik und Militär. Das Szenario der NATO, die Logik der planmässig gesteigerten militärischen Zerstörung wurde ebenso ungefragt hingenommen wie die Legitimationsstrategien der Politiker." Das wollten die Berichterstatter so nicht hinnehmen. "Der Krieg hat uns überrascht", meinte Peter Frey vom ZDF, während Siegmund Gottlieb vom Bayerischen Rundfunk der Überzeugung ist, dass er unabhängig davon berichtet habe, ob der Krieg legitimiert gewesen sei oder nicht. Beide Fernsehmitarbeiter gestanden jedoch wachsende Zweifel an der Berechtigung des Einsatzes in seinem weiteren Verlauf. Dieser Skepsis hätten auch zahlreiche Sendungen Rechnung getragen, aber "leider haben wir wenige Kritiker des Krieges gefunden und in unsere Sendung einladen können" (Frey). NTV-Chefredakteur Helmut Brandstätter ist der Meinung, es habe die Programme mitbestimmt, dass die Mehrheit der deutschen Zuschauer nach zwei Weltkriegen endlich einmal das Empfinden gehabt habe, auf der richtigen Seite zu sitzen. Und der tschechische Autor Pavel Kohout stellte die Frage, ob Kriegsberichterstattung überhaupt objektiv sein dürfe. Er wittert den deutschen Morbus des Pazifismus und fand die Bilder von CNN-Bagdad im Golfkrieg "umwerfend schön" und den Brüsseler NATO-Sprecher "glänzend besetzt". Von derart affirmativer Begeisterung war das Forum der 33. Mainzer Fernsehtage zum Glück weit entfernt. Es lieferte eine kritische Bestandsaufnahme von Fernseharbeit und gab somit dem ZDF-Intendanten Stolte recht, der idealtypisch forderte, dass Bilder von Verbrechern nicht gewinnbringend vermarktet werden sollten.