Nürnberger Nachrichten, 19.5.2000

Misshandelt nach Abschiebung aus Deutschland in die Türkei

Tragödien in den Folterkellern

Dokumentation belegt die Fehler von Richtern und Behörden

VON RAINER WORATSCHKA

Es ist eine Dokumentation des Grauens, und ein Ende ist nicht abzusehen. Unter dem Titel "Von Deutschland in den türkischen Folterkeller präsentieren die Asylrechts-Bewegung Pro Asyl und der niedersächsische Flüchtlingsrat nun schon zum dritten Mal eine Liste kurdischer Asylbewerber, die hier zu Lande abgelehnt, abgeschoben und in ihrer Heimat dann aus politischen Gründen verhaftet und misshandelt wurden.

NÜRNBERG - Verantwortlich für die zwölf neuen menschlichen Tragödien sind krasse Fehleinschätzungen deutscher Amtsleiter und Richter. Und in einem bayerischen Fall gar eine Vorgehensweise, die in der Auflistung rundheraus als rechtswidrig bezeichnet wird: Obwohl das Asyl-Bundesamt bereits einem Asyl-Folgeverfahren zugestimmt hatte, wurde der 31-jährige Kurde Duran Y. im September 1997 von der Ausländerbehörde Rottal-Inn noch auf die Schnelle abgeschoben.

Vier Tage gequält

Er landete geradewegs im Folterkeller. Vier Tage lang wurde Y. von türkischen Sicherheitskräften festgehalten und gequält. Und knapp zwei Jahre später, bei Razzien in seiner Heimatprovinz, hat man ihn erneut misshandelt. Die Folgen dokumentiert ein Foto, das auch dieser Zeitung vorliegt: Es zeigt Y.s geschundenen Rücken, vom Hals bis zum Gesäß mit Blutergüssen bedeckt.

Dabei hatte Y.s Rechtsbeistand ausdrücklich davor gewarnt, seinen Mandanten abzuschieben. Dem Kurden drohten Verfolgung und Misshandlung, schrieb Anwalt Guido Brühl dem Bundesamt im September 1997. Y. hatte in der Türkei die Guerilla unterstützt und war dort bereits gefoltert und mit dem Tod bedroht worden. Zum Schein hatte er dann das Angebot, als Spitzel zu arbeiten, angenommen und sich nach Deutschland abgesetzt.

Aus Angst vor seinen Verfolgern lebt Duran Y. nun in einem türkischen Versteck. Trotz der seltsamen Abschiebung 1997 hatte man ihm die Wiedereinre ise verwehrt. Als er 1999 endlich ein Visum bekam, war sein Pass abgelaufen, die Ausreise damit unmöglich.

In Nürnbergs Partnerstadt

Selbst Abgeschobene ohne herausgehobene Funktion geraten laut Flüchtlingsrat in die türkische Folter-Maschinerie - und davor bewahrt sie keine noch so hehre Städtepartnerschaft. So findet sich in der Dokumentation der Fall der PKK-Sympathisantin Can I., die in Nürnbergs Partnerstadt Antalya gequält wurde. Am 6. Januar 2000 hätten sie Polizisten dort aus einem Bus geholt, berichtete die 21-Jährige. Sie warfen ihr vor, PKK-Mitglied zu sein, in Deutschland an Aktionen teilgenommen und Kurden-Vereine besucht zu haben. Can I. war im Dezember 1999 abgeschoben worden. Ihren Hinweis, in der Heimat bereits mehrmals festgenommen und misshandelt worden zu sein, hatte das Asyl-Bundesamt als widersprüchlich und "ohne jede Substanz" abgetan.

Über ihre Folter in Antalya berichtet die 21-Jährige: "Da ich die gegen mich gerichteten Beschuldigungen nicht einräumte, wurde ich am Kopf, an den Augen und an verschiedenen Stellen meines Körpers geohrfeigt und geschlagen (. . .). Dabei sagten sie mir, dass ich, falls ich die von ihnen gegen mich gerichteten Vorwürfe nicht einräume, unzählige Male sterben und wieder zum Leben zurückkehren und mir den Tod herbeisehnen würde."

Die Kurdin musste sich nackt ausziehen, wurde beleidigt, mit Vergewaltigung bedroht und eine Stunde lang mit kaltem Wasser abgespritzt. Zudem zwang man sie, ein Bekenntnis zur PKK zu verfassen - alles mit dem Zweck, sie ins Gefängnis zu bringen.

Tatsächlich präsentierte die Staatsanwaltschaft dann genau dieses Schriftstück als Beweis für I.s "Gesinnung". Im Januar wurde sie angeklagt. Der Vorwurf: Unterstützung der PKK. Selbst ihre Asylantrags-Begründung - in der Türkei würden Kurden unterdrückt und drangsaliert - diente als Munition. Can I. widerrief aber ihr erpresstes Geständnis und wurde freigesprochen - aus Mangel an Beweisen.

"Typische Muster"

In sämtlichen Fällen, so Claudia Gayer vom niedersächsischen Flüchtlingsrat, lägen "typische Verfolgungsmuster" vor. Die Kurden begründeten ihren Asylantrag mit Repressalien und/oder der Flucht vor dem Militärdienst. Man habe sie zwingen wollen, als Dorfschützer zu arbeiten und mit dem Staat zu kooperieren. Weil sie sich weigerten, habe man sie misshandelt und ihre Dörfer zerstört.

Bundesamt und Richter jedoch lehnten alle Asyl-Begehren "mit stereotypen Begründungen" ab. Gayer: "Sie verneinten eine Gruppenverfolgung, bagatellisierten das Vorbringen als ,landesüblich' und ,bloße Belästigung' und verwiesen auf die inländische Fluchtalternative." Und Folgeverfahren verhinderten sie mit der Begründung, es handle sich nur um "Mitläufer, deren exilpolitische Aktivitäten für die Sicherheitskräfte uninteressant seien".

Offenbar geht diese Einschätzung an der Realität vorbei. 32 Folter-Schicksale von abgeschobenen Kurden haben Pro Asyl und Flüchtlingsrat inzwischen dokumentiert. Fortsetzung dürfte folgen. Die Recherche-Arbeit habe zwar beim Auswärtigen Amt zu einer "etwas differenzierteren Einschätzung" der Türkei beigetragen, sagt Claudia Gayer. Die Anerkennungs- und Abschiebepraxis habe sich aber "in keinster Weise verändert".