Hamburger Abendblatt, 19.5.2000

Die Leiden der Asylbewerber auf dem Flughafen

Frankfurt - Die 40 Jahre alte Frau war mit den Nerven völlig fertig. Als sich die abgelehnte algerische Asylbewerberin Naimah H. vor 13 Tagen in der Flüchtlingsunterkunft im Flughafen Frankfurt erhängte, hatte sie seit sieben Monaten den Himmel nur durch abgeschlossene Fenster gesehen. Seitdem ist das Verhältnis zwischen Flüchtlingsorganisation und Innenminister Otto Schily auf dem Gefrierpunkt. Schily, so der Vorwurf, habe das Problem der Langzeitflüchtlinge im Flughafentransit mit "tödlicher Untätigkeit" ignoriert. Der Innenausschuss des Bundestages stärkte Schily in dieser Wochen dennoch den Rücken. Vor der Wahl hatte die SPD noch versprochen, die seit dem Asylkompromiss 1993 geltende Flughafenregelung zu prüfen. Doch Schily, so die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl, habe nicht die "Bereitschaft gezeigt, sich mit den strukturellen Härten der Langzeitinternierung im Flughafenverfahren abgelehnter Asylbewerber ernsthaft zu befassen". Die Zahl der Langzeitaufenthalte im Transitbereich ist seit Schilys Amtsantritt sogar noch gestiegen. Wurden 1997 nur 15 Prozent der Flüchtlinge am Flughafen länger als die gesetzlich erlaubten 19 Tage dort festgehalten, so waren es 1999 fast 30 Prozent. "Das ist eine auffällige Zahl", sagte Horst Schäfer vom Evangelischen Regionalverband, der die Asylsuchenden am Flughafen betreut. Die mit dem Flugzeug ankommenden Flüchtlinge müssen im Transitbereich bleiben, bis über ihren Antrag in höchstens 19 Tagen entschieden ist. Zögert sich danach eine Abschiebung wegen fehlender Ausweispapiere hinaus, muss der Flüchtling erklären, er wolle freiwillig im Transitbereich bleiben. Sonst wird er in Abschiebehaft verlegt. Auch bei Naimah H., die mehrfach von der algerischen Polizei vergewaltigt worden sein soll, fehlten die Ausweispapiere. Monatelang wartete sie deswegen in dem abgeschlossenen stickigen Nebengebäude des Flughafens auf ihre Abschiebung. Das ehemalige Frachtgebäude ist von NATO-Draht umgeben, von außen wird die kerosinschwere Abgasluft der Flugzeuge angesaugt, eine Privatsphäre gibt es nicht. Nach Angaben von Pro Asyl musste Naimah H. nach einem Zusammenbruch schon zur Akutbehandlung in die Psychiatrie. Aber selbst aus "humanitären Gründen" durfte sie den Transitbereich nicht verlassen. Die "Verweildauer am Flughafen" sei schließlich auf das Verhalten der Asylbewerberin selbst zurückzuführen, wehrt sich Schily gegen die Angriffe von Pro Asyl. Der Innenausschuss des Bundestages unterstützte in dieser Woche mit den Stimmen der Union Schily in seinem harten Vorgehen. "Die Union will an der Flughafenregelung festhalten", sagte ein CDU-Vertreter. Einig ist man sich allerdings, dass die Unterbringung am Flughafen verbessert werden muss. Der Neubau ist allerdings erst für 2001 geplant. Trotz allem aber scheint der Freitod von Naimah H. auch bei den Hardlinern Spuren hinterlassen zu haben. In der vergangenen Woche wurden sieben Einreisen aus "humanitären Gründen" aus dem Transitbereich in Asylunterkünfte im Land erlaubt. Horst Schäfer: "So viele sind es sonst innerhalb von drei Monaten." (mai)