Die Presse (A), 18.5.2000

Erster Verträglichkeitstest

Griechenland - Türkei. Die beiden ungleichen Nachbarn üben in der Ägäis gemeinsam im Rahmen der Nato.

Von unserem Korrespondenten CHRISTIAN GONSA

ATHEN. Türkische Truppen landen an der griechischen Küste, und kein Krieg bricht aus. Das wäre noch Anfang vorigen Jahres utopisch erschienen. Am 31. Mai 2000 soll es dank des türkisch-griechischen Tauwetters Wirklichkeit werden. An diesem Tag werden rund 150 türkische Marinesoldaten im Rahmen einer Nato-Übung an der griechischen Küste landen. Das Nato-Manöver "Dynamic Mix 2000" wird vom 20. Mai bis 10. Juni mit Schwerpunkt in der Südägäis und im Ionischen Meer abgehalten werden. An die 15.000 Soldaten aus mehreren Nato-Staaten werden teilnehmen. Die türkischen Truppen werden im Westpeloponnes an Land gehen, eine türkische Fliegerstaffel wird auf einem griechischen Stützpunkt landen. Griechische Schiffe sollen im Gegenzug Sicherungsaufgaben vor Izmir an der türkischen Küste übernehmen. Noch 1996 wäre es wegen einer kleinen unbewohnten Insel in der Ägäis fast zu einem Krieg zwischen den Nachbarn gekommen. Die Grenzziehung im und über dem Meer ist zwischen den Anrainerstaaten umstritten. Die schon zuvor bestehenden Meinungsunterschiede verschärften sich im Zuge der Ölkrise der siebziger Jahre, als die Türkei im ägäischen Binnenmeer nach Öl suchte; und vor allem nach der Zypern-Krise 1974. Im umstrittenen Luftraum kommt es immer wieder zu einem gefährlichen "Schattenboxen" zwischen Maschinen der beiden Staaten. Auch innerhalb der Nato-Strukturen setzte sich der Streit fort: Die Länder wollten keine technische Kontrolle ihres Hoheitsgebietes durch den Gegner zulassen.

Erfolge der Annäherung

Die Übung ist der erste große Test für die "Verträglichkeit" der neuen Nato-Kommandostruktur in der sensiblen Ägäisregion. Sowohl im griechischen Larissa als auch in Izmir arbeiten jetzt Nato-Subhauptquartiere. Die Entscheidung über die Überwachung des Gebietes fällt aber von Fall zu Fall im Hauptquartier der Nato-Süd in Neapel. Für "Dynamic Mix" wurde Larissa auserkoren. Diese vertrauensbildenden Maßnahmen im Rahmen der Nato werden von beiden Staaten akzeptiert. Voraussetzung für die neue Koexistenz ist die Entspannungspolitik, die vorigen Sommer eingesetzt hat. Die vorsichtige Annäherung brachte bereits Erfolge: die griechische Unterstützung der türkischen EU-Kandidatur sowie der Abschluß bilateraler Vereinbarungen.