Tagblatt (CH), 17.5.2000

Kurdistan - ein vergessenes Land

Eine in Ausserrhoden verwurzelte Hilfsorganisation hat 125 Patenschaften für Waisenkinder vermittelt

Das Volk der Kurden lebt vor allem im Grenzgebiet Türkei/Syrien/Irak/Iran. Autonomiebestrebungen für ein freies Kurdistan scheiterten immer wieder am Widerstand der betroffenen Staaten. In dem von der Weltöffentlichkeit weitgehend vergessenen Gebiet herrscht grosse Not, weiss Aline Auer aus Teufen.

Bernhard Laux

Zusammen mit Waltraud Weber (früher Stein, heute St.Gallen) und Rosa Moesch (Teufen) hat Aline Auer deshalb 1993 die Hilfsorganisation «Patenschaften in Kurdistan PIK» ins Leben gerufen, die seit dem Gründungsjahr 125 Patenschaften im Nordirak vermittelte. Begünstigt werden Waisen und Halbwaisen in der Region Suleymania, die etwa so viel Einwohner wie die Stadt St. Gallen hat. Wegen der Repressalien des irakischen Diktators Saddam Hussein gegen das Volk der Kurden sind auch viele Frauen und Mütter zu Witwen geworden, deren wirtschaftliche Situation sich nach dem zweiten Golfkrieg noch einmal massiv verschlechterte. Auch hier will PIK die Not etwas lindern: 1995 wurde ein sogenanntes Mutterschaf-Projekt ins Leben gerufen, das bis heute an die weitgehend mittellosen Witwen über 400 Tiere abgeben konnte.

Mit 200 oder 80 Franken dabei

Gesammelt wird das Geld für die Patenschaften und das Schafprojekt vornehmlich im Appenzellerland. Pro Jahr tragen Aline Auer und Waltraud Weber etwa 35000 Franken für ihre Hilfsorganisation zusammen. Ansprechpartner im Irak ist die Hilfsorganisation «Kurdistan Save the Children», welche die Adressen von Waisen und Witwen vermittelt und für die korrekte Verteilung der gesammelten Gelder sorgt. Einmal im Jahr reist Waltraud Weber auf eigene Kosten in das abgelegene Gebiet, um den Kontakt zu der Bevölkerung zu suchen. Um die grösste Not zu lindern, braucht es - ausgehend von den Verhältnissen hierzulande - vergleichsweise geringe Mittel. So kostet eine Patenschaft lediglich 200 Franken. Von diesem Betrag, der etwa 75 Prozent des Jahreslohnes eines kurdischen Lehrers entspricht, kann der Lebensunterhalt eines Kind ein ganzes Jahr lang finanziert werden. Ähnlich bescheiden ist der Aufwand für das Schafprojekt: Mit 80 Franken kann der Kauf eines Tieres gesponsert werden. Durch den Verkauf von Käse und Wolle können sich die Witwen ein bescheidenes Einkommen verschaffen. Natürlich ist die Hilfe aus dem Appenzellerland nur ein Tropfen auf einen heissen Stein, weshalb die Patenschaften vor Ort mitunter zu neidvollen Reaktionen führen können, wie Aline Auer berichtet. PIK hat deshalb begonnen, auch medizinische Hilfsprogramme aufzubauen, die einem grösseren Teil der Bevölkerung zugute kommen sollen. So werden beispielsweise Sehhilfen, Schieloperationen und orthopädische Massnahmen gegen Klumpfüsse finanziert. Aber auch lebenserhaltende Operationen (Blinddarm, Mandeln) werden ermöglicht.

Ein ganzes Dorf aufgebaut

Die Attacken Husseins gegen die Kurden in seinem Land nach dem ersten Golfkrieg hatten viele Menschen in die Flucht getrieben. Auch Teufen nahm Flüchtlinge aus Kurdistan auf. Innerhalb der Betreuergruppe, zu der auch Aline Auer und Waltraud Weber gehörten, entstand damals die Idee, man könne doch Mittel sammeln, um eines der von Husseins Armee zerstörten Dörfer im Nordirak wieder aufzubauen. Was anfänglich einer Utopie glich, entwickelte sich dank einer beispiellosen Solidaritätswelle zu einem konkreten Projekt. In nur drei Monaten trug die Betreuergruppe 170000 Franken zusammen, womit der Wiederaufbau des Dorfes Mama Jalca finanziert werden konnte. Das Geld reichte aus, um 50 Häuser, eine Schule und die Zufahrtsstrasse wieder instand zu stellen.

Kein Franken geht verloren

Das Geld, das Aline Auer und Waltraud Weber zusammen tragen, kommt bis auf den letzten Rappen den PIK-Hilfsprojekten in Kurdistan zugute. Die beiden Frauen arbeiten ehrenamtlich und alle administrativen Aufwendungen bezahlen sie aus der eigenen Tasche. Über die Verwendung der gesammelten Gelder wacht eine Kontrollstelle, welcher der Ausserrhoder Regierungsrat Werner Niederer und der Ausserrhoder Oberförster Peter Ettlinger angehören. Weil sich die Situation in Kurdistan - auch wegen der gegen den Irak verhängten UNO-Sanktionen - ständig verschlechtert, wird die private Hilfsorganisation mit zusätzlichen Bedürfnissen konfrontiert. So hat die kurdische Partnerorganisation kürzlich angefragt, ob PIK nicht ein Schüler-Ernährungsprogramm auf die Beine stellen könne. Aus finanziellen, vor allem aber auch aus personellen Gründen sei man dazu vorläufig nicht in der Lage, musste die Anfrage beantwortet werden. Womit ein PIK-internes Problem angesprochen ist: Die Trägerschaft sollte dringend auf eine breitere Basis gestellt werden können, vier Schultern sind auf Dauer einfach nicht stark genug. Um die Weiterexistenz der Hilfsorganisation zu sichern, denken Aline Auer und Waltraud Weber deshalb an die Gründung eines Vereins.