taz 15.5.2000

Kommentar

CDU-GENERALSEKRETÄR FORDERT MEHR EINWANDERUNG

Kehrtwende

Deutschland muss seine Grenzen nicht nur für Computerspezialisten weit öffnen, sondern auch für Fachkräfte anderer Wirtschaftszweige. Dies fordert Ruprecht Polenz, Generalsekretär der CDU. Gleichzeitig wirft er der SPD bei der Anwerbung ausländischen Sachverstandes Halbherzigkeit vor. Polenz verabschiedet sich damit von der zögerlichen Haltung, die seine Partei bislang gegenüber der Green-Card-Initiative von Kanzler Schröder eingenommen hat. Vor allem die Wirtschaftsverbände werden dies gerne hören. Denn mit der Kampagne von Jürgen Rüttgers "Kinder statt Inder" drohte die CDU zu einer strukturkonservativen Partei zu werden, die sich den Kapitalinteressen entgegenstellt. Mit Polenz scheint die CDU wieder zu ihrer alten Leitlinie zurückgefunden zu haben: Einwanderung ist gut, solange sie der Wirtschaft nützt.

Polenz Kritik an der SPD ist berechtigt: Deren Einwanderungspolitik ist halbherzig und vor allem restriktiv. Das Gewürge um die Ausführungsbestimmungen von Schröders GreenCard-Initiative hat vor allem eines gezeigt: Die SPD hat Angst vor der eigenen Courage, fürchtet die fremdenfeindlichen Ressentiments ihres Wählermilieus. Von dieser Partei sind bei dem großen Zukunftsthema Einwanderung keine Visionen und ist noch weniger Mut zu erwarten. Es entspricht alter sozialdemokratischer Tradition, wenn sie signalisiert: Mit uns wird es in den nächsten Jahren kein Einwanderungsgesetz geben. Die SPD ist auch in dieser Frage der Garant bundesdeutscher Kontinuität - durchwurschteln, bis nichts mehr geht.

Was tun? Drei Dinge hat Deutschland nun: zum einen die Gewissheit, dass es seine ökonomische Position zukünftig nur mit Hilfe von Spitzenkräften aus aller Welt halten kann. Zweitens schenkte die CDU den Bürgern bereits vor eineinhalb Jahren ein wunderbares Integrationskonzept, das Jürgen Rüttgers entwickelte. Drittens beglückte Bundespräsident Johannes Rau die Nation vor wenigen Tagen mit einer Rede, die in ihrem Ansatz Rüttgers Vorstellungen folgt. Es fehlt jetzt nur noch die politische Kraft, die das alles in eine tragfähige Einwanderungs- und Integrationspolitik umsetzt. Derzeit bietet sich niemand an. EBERHARD SEIDEL