taz 15.5.2000

CDU will mehr Einwanderung

Führende CDU-Politiker stellen Migrationspolitik ihrer Partei auf den Kopf.

Humanitäre Gründe und volkswirtschaftliche Interessen steuern Zuwanderung

BERLIN taz Der Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen war gestern noch nicht beendet, die Wahllokale waren noch geöffnet, da mobbten Spitzenleute der Partei bereits Jürgen Rüttgers. Der CDU-Bewerber für Düsseldorf hatte in seiner Wahlkampagne auf "Kinder statt Inder" gesetzt. Doch Ruprecht Polenz und Wolfgang Bosbach ticken da ganz anders: Sie wollen die von Rüttgers abgelehnte Green Card. Und sie wollen eine Zuwanderung nach Deutschland, die sich an zwei Kriterien orientiert: an humanitären Gesichtspunkten (Asyl) und an dem volkswirtschaftlichen Interesse Deutschlands.

Polenz und Bosbach sind nicht irgendwelche unmaßgeblichen CDU-Leute. Polenz managt als Generalsekretär die Geschicke der Partei. Bosbach ist der stellvertretende Chef der CDU-Fraktion, zuständig für Innen- und Rechtspolitik. So weltoffen wie der Bergisch-Gladbacher Bosbach hat sich ein CDU-Innenpolitiker lange nicht mehr geäußert.

Bosbach sagte der taz, die Green Card der rot-grünen Bundesregierung verdiene diesen Namen nicht. Sie müsse weit über die bisherigen Adressaten hinausgehen. Nicht nur Softwareingenieure sollten angeworben werden, sondern auch Maschinenbauer und Elektroingenieure. Wenn es nach dem 48-jährigen Bosbach ginge, müsste Deutschland auch viel mehr Dozenten, Wissenschaftler und Studenten aus dem Ausland anwerben. Qualifizierte Fachkräfte wie Dreher oder Schlosser, die bereits hier sind, müssten dann eingebürgert werden.

Ähnlich dezidiert wie Bosbach äußerte sich der neue CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz in einem Interview mit dem Tagesspiegel. "Deutschland steht vor der Entscheidung, ob wir an dem weltweiten Wettbewerb um die besten Köpfe teilnehmen. Ich finde, wir können es uns gar nicht leisten, nicht daran teilzunehmen." Folglich dürfe die Green Card der Bundesregierung keinesfalls auf die EDV-Branche beschränkt werden. Anders als sein Parteifreund Bosbach schloss Polenz nur eine Gruppe Einwanderer aus: "Das bedeutet aber nicht, dass wir zum Beispiel unseren Bedarf an Pflegekräften auf den Philippinen decken sollten."

Die CDU hat sich von ihren bisherigen ausländerpolitischen Vorstellungen verabschiedet. Bislang behauptete sie, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Der Vizechef der CDU-Fraktion, Bosbach, legte nun gegenüber der taz die Zuwanderungszahlen der letzten zehn Jahre, rund 2 Millionen Menschen, als denkbare Größe auch für die Zukunft zugrunde. Im Jahresschnitt könne Deutschland rund 220.000 Menschen aufnehmen. Darunter seien dann immer auch solche, "die aus humanitären Gründen hierherkommen". Dazu bestehe, so Bosbach, schon aus der deutschen Vergangenheit eine Verpflichtung. Und zweitens sollten "wir Bewerber mit Qualifikationen aufnehmen, die uns weiterbringen."

Die CDU-Fraktion will die Worte ihres innenpolitischen Sprechers in politische Programme ummünzen. Eine Arbeitsgruppe mit dem Namen "Ausbildung und Arbeitsmarkt im IT-Zeitalter" entwerfe das Konzept für ein Zuwanderungssteuerungsgesetz. Kerngedanke der AG: Einfluss auf die Einwanderer nehmen, und zwar weniger auf deren Zahl als auf die Qualifikation, die sie mitbringen. CHRISTIAN FÜLLER