Berliner Zeitung, 15.5.2000

Die Türkei will demokratischer werden

Kommission legt Programm für Reformen vor

Sigrid Averesch

ANKARA, 14. Mai. Die türkische Regierung hat ein Programm entwickelt, um den Staat zu demokratisieren. Danach ist vorgesehen, bis Ende 2001 die Verfassung zu ändern und Einschränkungen von Grundrechten abzuschaffen. Bis 2004 soll das Justiz-, Bildungs- und Arbeitswesen demokratisch gestaltet werden. Die Regierung in Ankara will damit die politischen Kriterien für die Aufnahme in die Europäische Union erfüllen. Die Vorschläge stammen aus dem Büro des Ministerpräsidenten Bülent Ecevit.

Unter Vorsitz von Gürsel Demirok erarbeitete eine Kommission, in der auch Mitglieder verschiedener Ministerien vertreten waren, die für einen EU-Beitritt notwendigen politischen Reformen. "Die Priorität liegt auf den verfassungsrechtlichen Änderungen", sagte Demirok. So spricht sich die Kommission dafür aus, die Einschränkungen der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit abzuschaffen. Angeregt wird auch eine Amnestie für inhaftierte Journalisten. Da nach Meinung der Autoren das Rechtssystem in der Türkei in der Praxis Defizite aufweist, setzten sie sich auch für eine Umgestaltung der Justiz ein. So sollen die umstrittenen Staatssicherheitsgerichte als eigenständige Institutionen aufgelöst und in die allgemeine Gerichtsstruktur eingebunden werden. Um die Unabhängigkeit der Gerichte zu gewährleisten, sollen personelle Entscheidungen künftig von einer Kommission aus Richtern getroffen werden und nicht mehr einer indirekten Kontrolle durch die Verwaltung unterstehen. Auch die Befugnis, des Terrorismus verdächtige Personen ohne Gerichtsentscheid zu inhaftieren, soll fallen.

Änderung des Sicherheitsrates

Gleichzeitig ist eine Reform des Nationalen Sicherheitsrates, über den das Militär bislang politischen Einfluss erhält, vorgesehen. Die Abschaffung dieses Gremiums wird zwar nicht erwogen, dafür aber soll die Anzahl der zivilen Mitglieder erhöht werden, heißt es in dem Papier. Das entspricht einer früheren Erklärung des Nationalen Sicherheitsrat, in der das Gremium eine Umgestaltung und die Abschaffung der Todesstrafe fordert. Die Vorschläge der Kommission fußen auf der Erkenntnis, dass die Türkei in den vergangenen Jahren "nicht in der Lage war, die Demokratie zu perfektionieren und den Respekt vor Menschenrechten zu garantieren".