Die Welt, 12.5.2000

"Wir gehen in den Iran zurück"

Reformern in Deutschland droht Haft, sollten sie in ihre Heimat reisen

Berlin - Drei Vertreter der iranischen Reformbewegung, die sich seit April in Deutschland aufhalten, haben am Donnerstag in Berlin erklärt, in ihr Land zurückkehren zu wollen. Kazem Kardavani, Vorstandsmitglied des iranischen Schriftstellerverbandes und der Geistliche Yousefi Eshkevari müssen bei der Einreise mit ihrer Festnahme rechnen; gegen sie liegen Haftbefehle vor. Den Kultursoziologen Tschangiz Pahlavan erwartet eine Vorladung zum Verhör. Die drei gehörten der Reformerdelegation an, deren Auftritt vom April bei einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung die so genannten Konservativen im Iran zum Anlass für Verhaftungen und Zeitungsverbote nahmen.

Die gespannte Lage im Iran bewerten sie unterschiedlich. Eshkevari glaubt, dass nach der Konstituierung des neuen Parlaments Ende Mai mit seiner Reformermehrheit die Repressalien abebben und die bereits verhafteten vier Teilnehmer der Berliner Konferenz freikommen werden. Kardavani zeigte sich weniger optimistisch. Der Justizapparat stehe außerhalb der Kontrolle des Parlaments. Selbst wenn es sich konstituiere, werde sich an dessen Vorgehen nichts ändern. Pahlavan erklärte, die iranische Verfassung habe eine institutionelle Selbstblockade der verschiedenen staatlichen Mächte geschaffen. "Alles kontrolliert sich gegenseitig. Das Parlament gleicht einer Mutter, die Kinder gebären, aber nicht aufziehen darf. Gilt eines als missgebildet, kommt der islamische Wächterrat und nimmt es ihr fort."

Die Reformbewegung leide, darin waren sich alle einig, an Konzeptlosigkeit. Trotzdem, so der Geistliche Eshkevari, der einen explizit verfassungskonformen Standpunkt vertrat, sei heute im Iran ein Stand erreicht, wie es ihn in 100 Jahren Reformbewegung nie gegeben habe. "Die Regierung von Präsident Mohammed Chatami hat einen Grad von Aktivität in der Bevölkerung erreicht, der einen Rückfall in frühere Zeiten ausschließt." Er wies auf zahlreiche bürgerliche und zivile Institutionen hin, die entstanden seien. Die freie Presse habe ein Ausmaß wie nie zuvor im Iran. Die Reformbewegung ist derzeit eher eine, allerdings starke, Stimmung im Lande als ein konkretes Maßnahmenpaket. Über ihre Richtung sind sich die Reformer nicht einig. Alle drei sind in Sorge, ihre Rückkehr werde sie direkt ins Gefängnis führen. Einer leidet unter Diabetes, ein anderer unter Herzproblemen. "Aber darauf sind wir seit Jahren psychisch eingestellt. Damit rechnen wir immer. Also gehen wir zurück." WB