Hannoversche, Peiner Allgemeine Zeitung, 12.5.2000

Türkische Generäle fordern Beschränkung

Die Nachricht schlug wie eine Bombe ein: In Ankara erklärte ein Vertreter des Generalstabes jetzt einer überraschten Runde von hohen Regierungsvertretern, das türkische Militär "empfehle" der Regierung konkrete Reformen - bis hin zur Stärkung der zivilen Kräfte. Die bis in Formulierungsvorschläge für Verfassungsänderungen konkreten Vorstellungen des Militärs sehen eine zivile Vorherrschaft im bislang von der Armee dominierten Nationalen Sicherheitsrat, die Abschaffung der Todesstrafe und die Unterzeichnung des entsprechenden Europaratsprotokolls vor. Außerdem könne der Verfassungspassus aufgehoben werden, der alle Gesetze der Militärregierung von 1980 gerichtlicher Kontrolle entzieht. Dem Nationalen Sicherheitsrat, dessen Einfluss als wichtigstes Hindernis für einen türkischen EU-Beitritt gilt, gehören bisher der Generalstabschef und die Oberkommandierenden der vier Teilstreitkräfte auf der militärischen Seite sowie der Ministerpräsident und die Minister für Äußeres, Inneres und Verteidigung auf der zivilen Seite an. Den Vorsitz führt der Staatspräsident, das Generalsekretariat leitet ein Offizier. Das Gremium berät monatlich über alle aktuellen Fragen der Innen- und Außenpolitik und "teilt dem Kabinett seine Ansichten zur Beschlussfassung mit", wie es in der Verfassung heißt; die Regierung hat den Beschlüssen des Sicherheitsrats "Vorrang" einzuräumen. Der Reformplan des Generalstabes sieht zwei Reformen vor: Künftig sollen auch die Vizeministerpräsidenten sowie die Minister für Justiz, Wirtschaft und Finanzen in den Sicherheitsrat aufgenommen werden, wodurch den fünf Militärs dort statt fünf bis zu zehn Zivilisten gegenüber sitzen würden - und die zivile Seite stets die Stimmenmehrheit hätte. Außerdem soll das Gremium in der Verfassung zu einem rein "beratenden Organ" herabgestuft werden. "Entgegen einer weit verbreiteten Ansicht treten die Türkischen Streitkräfte entschieden für Demokratisierung, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit ein und wünschen Fortschritte auf dem Weg zur Vollmitgliedschaft in der EU", erklärte der Generalstabsvertreter. "Ich spreche damit für die Befehlshaber." Die EU-Botschafterin in Ankara, Karen Fogg, begrüßte den Vorstoß der Generäle bereits als "ausgesprochen positiv".

gü, Istanbul, 11.05.2000