Die Welt, 11.5.2000

"Die Türkei ist ein Rechtsstaat, die Gerichte sind unabhängig"

WELT-Gespräch mit Innenminister Tantan

Der türkische Innenminister Sadettin Tantan hat sich in seinem Land als "unbestechlicher Law-and-Order-Mann" einen Namen gemacht. Mit Tantan sprach WELT-Mitarbeiter Ayhan Bakirdögen. DIE WELT: Bei der Abschiebung türkischer Straftäter, die nach Deutschland flüchten, gibt es Bedenken, dass sie nach der Rückkehr misshandelt werden. Wie wollen Sie diese Bedenken aus dem Weg räumen?

Sadettin Tantan: Haben diejenigen, die in der Türkei Straftaten begangen haben und jetzt in Deutschland leben, keine Menschenrechte verletzt? Die Türkei ist ein Rechtsstaat. Unsere Gerichte sind unabhängig. Deshalb kann man nicht von Menschenrechtsverletzungen in der Türkei sprechen. Wir können es nicht akzeptieren, dass Menschen in der Türkei Straftaten begehen und anschließend ungehindert in Deutschland weiter leben wollen.

DIE WELT: Die Einhaltung der Menschrechte ist einer der wichtigsten Faktoren für die EU-Mitgliedschaft der Türkei. Leider gibt es immer noch negative Schlagzeilen. Oppositionelle werden festgenommen, Intellektuelle sitzen in den Gefängnissen. Wann wird das aufhören?

Tantan: Die Türkei ist ein demokratisches Land. Die Menschen leben unter rechtsstaatlichen Bedingungen. Diejenigen, die gegen die Regeln verstoßen, werden mit bestimmten Sanktionen belegt. Diese Strafen können von Regierungen nicht beeinflusst werden. Die Folter muss man genau definieren. Überall in der Welt passieren einzelne Vorfälle. Man kann nicht sagen, dass in der Türkei generell gefoltert wird. Die Türkei will EU-Mitglied werden. Deshalb sind wir dabei, unser Rechtssystem den EU-Normen anzugleichen. Unsere Regierung und das Parlament haben ein intensives Programm gestartet.

DIE WELT: Wird die Strafe von Abdullah Öcalan in lebenslange Haft umgewandelt?

Tantan: In einem Rechtsstaat muss man Gerichtsurteile respektieren. In Deutschland respektiert das Volk auch die Gerichtsurteile. Unsere Gesetze stammen nicht aus dem Himmel. Wir haben sie aus westlichen Ländern wie Deutschland und Italien importiert. Wenn es da Defizite geben soll, sind daran deutsche und italienische Rechtswissenschaftler beteiligt. Die Reaktionen der Kritiker im Westen zeigen, dass diese oft unser Rechtssystem nicht respektieren. Ich kritisiere auch nicht die deutschen Gerichte. Das wäre eine Respektlosigkeit gegenüber dem deutschen Rechtssystem.

DIE WELT: Welche Unterstützung erwarten Sie von Deutschland bei der Bekämpfung des Terrorismus und organisierten Verbrechens?

Tantan: Ein Land kann gegen Terrorismus und organisiertem Verbrechen nicht allein angehen. Die terroristischen Bewegungen bringen viele illegale Aspekte wie Menschen- und Drogenhandel sowie Erpressung mit sich. Die Länder, die solche Sachen tolerieren, gehen das Risiko ein, dass sie langfristig ihre eigene innere Sicherheit gefährden. Neben Deutschland haben wir mit vielen anderen Ländern Abkommen über Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen unterzeichnet und wollen diese Aktivitäten ausbauen. Auch in Zukunft werden wir auf die Auslieferung der Straftäter, die in Deutschland leben, bestehen, um sie in der Türkei vor Gericht zu bringen.