Neue Zürcher Zeitung (CH), 11.05.2000 Nr.109 2

Fragen zu den Geständnissen iranischer Juden

«Mossad-Agenten für die Untergrabung der Revolution» Iranische Juden haben vor Gericht und am Fernsehen gestanden, einem 1979 aufgezogenen Spionagering des Mossad angehört zu haben. Sie wollen diese Geständnisse freiwillig abgelegt haben, womit sie amerikanischer und israelischer Kritik über unfaire Justiz widersprechen. Die iranische Presse spricht von einer Kampagne ausländischer Einmischung.

vk. Limassol, 10. Mai

Das Schauspiel des Spionageprozesses gegen 13 iranische Juden gewinnt mit jedem neuen Gerichtstermin an Widersprüchlichkeit. Am Mittwoch hat die seit dem 13. April fünfte Gerichtssitzung im Revolutionsgerichtshof von Schiras stattgefunden, die dem sechsten und siebten Beschuldigten gewidmet war. Auf der einen Seite haben bisher fünf der Angeklagten hinter verschlossenen Türen umfassende Geständnisse über ihre Aktivitäten in einem seit der Revolution von 1979 bestehenden Spionagering zugunsten des israelischen Mossad abgelegt. Und sie bestätigten gegenüber den am Ausgang des Gerichtssaals wartenden Journalisten, sie hätten diese Geständnisse freiwillig und ohne Druck abgelegt und empfänden das Verfahren gegen sich als fair. Auf der anderen Seite kam das iranische Staatsfernsehen jeglichem Urteilsspruch zuvor und strahlte diese Geständnisse in voller Länge aus. Zugleich baut sich in iranischen Zeitungen eine Abwehrkampagne gegen Einmischungsversuche des Auslands auf, als handelte es sich um einen stalinistischen Schauprozess, der mangels greifbarer Beweise für irgendein Verbrechen an der Propagandafront gewonnen werden müsste.

Nachrichtendienst oder falsche Neugier? Die Aussagen der Angeklagten Hamid Tefilin, Shahrokh Paknahad, Naser Levy-Khayim, Ramin Razam und Ramin Nematizadeh suggerieren ein ganzes Spionagenetz iranischer Juden, das seit der islamischen Revolution Informationen aller Art über Iran sammelte und teils geheimes Material dem Mossad per Funk, Fax und manchmal per Kurier übermittelte. Zwei von ihnen wollen in Israel Einführungskurse von Geheimagenten bekommen haben. Und als Ziel ihrer Nachforschungen in Iran gaben sie Staatsbeamte, Spitäler, Brücken, Kinos, Lokale der Freitagspredigten und wirtschaftliche Anlagen an. Die Arbeit dieses Rings habe auf Untergrabung der islamischen Revolution und auf ihre Eindämmung abgezielt; zu dem Zweck wollten die Israeli die wirtschaftlichen, sozialen und innenpolitischen Schwierigkeiten Irans aufblähen. Weiter beteuerten die Angeklagten, die Untersuchungs- und Gerichtsorgane hätten sie fair behandelt und nicht unter Druck gesetzt. Hingegen hätten die Mossad- Agenten ihre religiösen Überzeugungen ausgenutzt und einen Dienst für Israel, die wahre Heimat aller Juden, eingefordert. Sie hätten für den Fall einer Verhaftung auch sofortige Hilfe mittels internationalen politischen Drucks versprochen.

In Kreisen unbeteiligter Prozessbeobachter wird nicht ausgeschlossen, dass hinter den Geständnissen tatsächlich die eine oder andere Tat einer kleinen Minderheit der Angeklagten steckt, die sich von übereifrigen iranischen Ermittlungsbehörden zur Spionage hochstilisieren lässt. In die Richtung zielen auch die Verteidiger; sie verlangen die Öffnung das Verfahrens für das Publikum, weil die inkriminierten Informationen offensichtlich nicht als Staatsgeheimnisse einzustufen seien. Die Geständnisse verraten jedenfalls deutlich die aufbereitende Hand der Verhörrichter während der 14monatigen Untersuchungshaft: Sie sind strukturiert durch den Fachjargon dessen, der in der Welt nur propagandistische Kriegführung, das Anwerben von Agenten und Spionagenetze von Feinden der Islamischen Republik sieht. Zudem stammt das erste der Geständnisse von einer zweifelhaften, wahrscheinlich erpressbaren Person: Der muslimische Beiname Hamid- Dani Tefilin deutet auf einen Konvertiten, der überdies ein umfangreiches Gerichtsdossier in Drogenfällen haben soll. Nach längeren Verhören in den Gefängnissen der Revolution haben sich sogar schon ehemalige Minister der Islamischen Republik öffentlich als Agenten Amerikas bekannt.

Bemühungen um Transparenz Amerikanische und französische Politiker sowie das israelische Aussenministerium haben auf Grund solcher Zweifel schon beim Beginn des Prozesses sämtliche Angeklagten rundweg für unschuldig erklärt und ihre sofortige Freilassung verlangt. Das zeugt nicht eben von grossem Sinn für den Gang einer unabhängigen Justiz, selbst wenn es die iranische ist und der Richter zugleich als Staatsanwalt fungiert. Der Gerichtshof von Schiras bemüht sich immerhin durch die Zulassung der Verteidigungsanwälte, seine häufigen Presseorientierungen und den Empfang von Menschenrechtsaktivisten um Korrektheit und etwas Transparenz. Entsprechend zog das sonst gemässigte Regierungsblatt «Iran Daily» am Mittwoch gegen westliche Mächte vom Leder, welche durch Einmischung in iranische Angelegenheiten die Justiz unter Druck setzen wollten.