Tagesspiegel, 10.5.2000

Staatsbürgerschaftsrecht

Rau spricht sich für Einbürgerungspolitik nach amerikanischen Vorbild aus

Der Bundespräsident plädiert ebenfalls für einen deutschsprachigen Islamunterricht als Schulfach

Thomas Kröter

Für eine grundlegende Reform der Einbürgerung hat sich Bundespräsident Johannes Rau ausgesprochen. Er wünsche sich, "dass wir in Deutschland zu einem Staatsbürgerschaftsrecht kommen wie in den USA", sagte Rau am Dienstag in Berlin. Es solle nicht mehr die Frage entscheidend sein, aus welchem Land die Eltern kämen, sondern wo jemand geboren sei. Rau empfing 27 neue Bürger, die nach dem seit 1. Januar geltenden Recht eingebürgert wurden und zum Teil von der Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft Gebrauch gemacht haben. Er plädierte auch für einen deutschsprachigen Islamunterricht als Schulfach. Bundesinnenminister Otto Schily, der gemeinsam mit der Ausländerbeauftragten Marieluise Beck ebenfalls an dem Empfang in Raus Amtssitz Schloss Bellevue teilnahm, verwies darauf, dass die rot-grüne Koalition bei ihrer Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes Elemente des Abstammungsrechtes und des Geburtsrechtes gemischt habe. Dies sei ein großer Fortschritt, entgegnete Rau, fügte jedoch hinzu, seiner Meinung nach solle man "ein bisschen weiter mischen" in Richtung Geburtsrecht.

Der Bundespräsident kündigte an, dass er bei seiner "Berliner Rede" am Freitag im "Haus der Kulturen" darlegen werde, wie er sich Verbesserungen für das Zusammenleben von Deutschen und Ausländern in diesem Land vorstelle. Die Ausländerbeauftragte Beck lobte den Vorstoß des Bundespräsidenten als Zeichen "guter republikanischer Empfindung".

Vertreter von DGB und Ausländerorganisationen sagten der "tageszeitung", Rau müsse nun an diesem Freitag eine mutige Rede halten. Er müsse deutlich machen, dass Ausländerintegration kein Randthema sei, forderte Leo Monz vom DGB. Die Geschäftsführerin des Bundes-Ausländerbeirats, Ulrike Okenwa-Elem, äußerte die Hoffnung, dass Rau die "Chance der Green-Card-Debatte" nutzt, um über ein Gesamtkonzept zur Integration zu reden.

Nach Darstellung der Ausländerbeauftragten ist die Zahl der Einbürgerungen durch das neue Staatsbürgerschaftrecht erheblich gestiegen. In einzelnen Gemeinden gebe es Zuwächse von einem Drittel bis zur Hälfte. Genaue Zahlen liegen jedoch noch nicht vor. Es komme darauf an, wie die Gemeinden die in Frage kommenden Ausländer informierten. Die Mittel für ihre eigene Informationskampagne seien erschöpft. Einige der frisch eingebürgerten Gäste des Bundespräsidenten hatten mangelnde Unterrichtung über die rechtlichen Möglichkeiten beklagt. Insgesamt begrüßten sie jedoch das neue Einbürgerungsrecht. Zur Zeit leben rund 7,4 Millionen Menschen ausländischer Herkunft ohne deutschen Pass in der Bundesrepublik.

Ebenso wie Innenminister Schily sprach sich Rau auf seinem Empfang für islamischen Religionsunterricht als ordentliches Fach an deutschen Schulen aus. Die Religionsfreiheit des Grundgesetzes gelte nicht nur für Christen, sagte der Bundespräsident. Es sei jedoch außerordentlich schwierig, entsprechende Lehrpläne zu erarbeiten, da es viele unterschiedliche Varianten des Islam gebe. So seien schwer Gesprächspartner zu finden. Schily legte besonderes Gewicht darauf, dass der Islamunterricht in deutscher Sprache erteilt werde, damit eine ordentliche Schulaufsicht möglich sei. Schily und Rau wiesen auf die Gefahr hin, dass fundamentalistische Gruppierungen den Religionsunterricht für ihre Ziele nutzen könnten. Dem müsse begegnet werden, forderten der Bundespräsident und der Innenminister.