Süddeutsche Zeitung, 10.5.2000

Erster Selbstmord in Flughafen-Asylverfahren

Von Annette Ramelsberger

Frankfurt - Zum ersten Mal seit der Einrichtung des Flughafen-Asylverfahrens im Jahr 1993 hat eine Asylbewerberin offenbar wegen der psychischen Belastung durch den monatelangen Freiheitsentzug Selbstmord begangen. Die 40-jährige Algerierin erhängte sich am Samstag in der Dusche ihrer Unterkunft auf dem Airport. Zuvor hatte die Frau bereits einen Nervenzusammenbruch erlitten und war in der Psychiatrie. "Dies war ein angekündigter Selbstmord", erklärte Bernd Mesovic von der Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl in Frankfurt. "So etwas hätte jederzeit und bereits viel früher passieren können." In den Abschiebeeinrichtungen an den deutschen Flughäfen versuchen immer wieder Asylbewerber, sich das Leben zu nehmen. In Frankfurt haben nach Auskunft des Evangelischen Regionalverbands in den vergangenen drei Jahren 18 Menschen Selbstmordversuche unternommen.

Pro Asyl richtet schwere Vorwürfe an Bundesinnenminister Otto Schily (SPD).

Die rot-grüne Koalition in Berlin habe nichts getan, um die monatelange Inhaftierung von Asylbewerbern an den Flughäfen zu verkürzen. Die Algerierin sei fast acht Monate in Gewahrsam gewesen. Der Direktor des Caritasverbands Frankfurt, Hartmut Fritz, sagte, die Flüchtlinge am Flughafen seien unerträglichen Belastungen ausgesetzt. "Wir können angesichts dieses Falles unsere Appelle nur wiederholen. Das Flughafenverfahren ist inhuman", sagte Fritz. Auch der Evangelische Regionalverband klagte, der Wunsch der Kirchen nach Änderung des Flughafenverfahrens sei ungehört geblieben. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums nannte es "politisch obszön, mit dem schrecklichen Freitod eines bedrängten Menschen politische Schlachten zu schlagen". Es werde geprüft, ob das Gesetz beachtet worden sei und auch die Möglichkeiten, möglichst human zu verfahren. Das Flughafenverfahren selbst werde nicht in Frage gestellt.

Asylantrag abgelehnt

Die Algerierin war im September eingereist. Ihr Asylantrag wurde umgehend abgelehnt. Als Ehefrau eines Regimegegners sei sie von algerischen Polizisten mehrmals geschlagen und vergewaltigt worden, sagte sie. Die Ablehnung des Asylantrags sei unter anderem damit begründet worden, dass sie sich nicht genau an den Termin der ersten Vergewaltigung erinnern konnte, erklärten die Kirchenvertreter. In Algerien tobt seit Jahren ein Bürgerkrieg.

Bis zu ihrer Abschiebung leben die Asylbewerber oft monatelang in einem mit Stacheldraht gesicherten Bau am Flughafen. Die Fenster lassen sich nicht öffnen, die Räume werden künstlich belüftet. Frische Luft bekommen die Flüchtlinge - darunter auch Kinder - nur, wenn sie von den Bundesgrenzschutzbeamten zu einem käfigartig umzäunten Gelände gefahren werden, wo sie Ball spielen dürfen. Derzeit halten sich in Frankfurt, der Stadt mit den meisten Asylbegehren am Flughafen, rund 40 Flüchtlinge am Airport auf. Zumindest die Räumlichkeiten dort sollen verbessert werden - durch einen Neubau, der 2001 bezugsfertig sein soll.

Die Frau war am Samstagabend erhängt in einer Dusche der Flughafen-Unterkunft aufgefunden worden. Ihr Asylantrag war im September abgelehnt worden. Seitdem bereiteten die Behörden ihre Abschiebung vor. vo