Financial Times Deutschland, 9.5.2000

Die Börse am Bosporus boomt - noch weiß es kaum jemand

Von Andreas Borst

Nach der Wahl des Reformers Necdet Sezer zum Präsidenten rechnen Fondsmanager mit einem weiteren Kursaufschwung.

Vor diesem Erfolg verblasst die Performance renommierter Finanzplätze. Der türkische Aktienmarkt-Index ISE-100 (Istanbul Stock-Exchange) entwickelte sich im vergangenen Jahr weltweit am besten - mit einem Zuwachs von satten 241,8 Prozent (auf Dollarbasis). Nur: Deutsche Anleger konnten bislang kaum von den Traumrenditen profitieren. Denn hiesige Banken ignorieren weitgehend den Staat, der sich anschickt, EU-Finanzstandards gerecht zu werden.

Da kann sich Murat Ünal nur wundern. Er ist der Fondsmanager des einzigen in Deutschland zum Vertrieb zugelassenen Türkei-Aktienfonds "Ceros Türkei 75 plus". Wirtschaftlich stehe das Land blendend da, auch politisch gebe es nun Stabilität. Der Fonds richtet sich maßgeblich Prozent am ISE-100-Index aus. Nach Ünal wird der Fonds zu 70 Prozent an deutsche Anleger verkauft. Den Rest investieren in Deutschland lebende Türken.

Verstärkt Investitionen erwartet

In jüngster Zeit legte die Istanbuler Börse eine politisch bedingte Verschnaufpause ein. Nachdem der ISE im März dazu ansetzte, die 18.500er-Marke zu durchbrechen, nahmen ihm die Probleme der Regierung mit der Neuwahl des Staatspräsident Luft aus den Segeln. Nun ist zumindest diese Unsicherheit mit der Wahl des demokratisch gesinnten obersten türkischen Verfassungsrichters Ahmet Necdet Sezer zum Präsidenten beseitigt worden. Investoren, so die Einschätzung von internationalen Finanzexperten, werden wieder stärker in das Land investieren.

Dass der Strom an ausländischem Kapital nicht versiegt, ist zentral für Emerging Markets wie die Türkei. Wie rasch sich in dieser Hinsicht die Istanbuler Börse entwickelt, zeigen die monatlichen Aktienumsätze.Lagen sie im gesamten Jahr 1999 bei 81 Mrd. $, so betrugen allein die Umsätze im Januar 2000 schon ein Drittel davon, nämlich 26 Mrd. $.

Mark Möbius, berühmter Templeton-Fondsmanager, hat im vergangenen Jahr immerhin 3,9 Prozent des Fondsvermögens in die Türkei investiert. Auf einer Schwellenländer-Konferenz in Istanbul sagte er kürzlich, dass er vor allem im Hinblick auf die geplante Privatisierungen große Chancen für die Türkei sehe. Immerhin: Möbius und seine Kollegen wollen in diesem Jahr rund 34 Mrd. $ in Titel aus den Emerging Markets investieren.

IWF mit wirtschaftlichen Zielen zufrieden

Von diesem Kapitalkuchen hofft nun die Börse am Bosporus ein ordentliches Stück abzubekommen. Zumindest die wirtschaftlichen Ziele finden den Beifall internationaler Investoren und - nicht zu vergessen - des internationalen Währungsfonds (IWF):

Die Inflation, zum Jahresende noch bei satten 65 Prozent, soll bis Ende 2000 auf 25 Prozent gesenkt werden.

Die Staatsausgaben sind sehr diszipliniert geplant und werden zum Teil über Privatisierungen im Volumen von 7,6 Mrd. $ finanziert.

Die Rating-Agentur Moody's hat Ende 1999 das Länderrating für die Türkei von stabil auf positiv angehoben.

Hinzu kommt das Beistandsabkommen des IWF. Es ist 3 bis 4 Mrd. $ schwer. Die Wiederaufbauhilfen, Reaktion auf die verheerenden Erdbeben, könnten in der zweiten Hälfte dieses Jahres der Wirtschaft starke Impulse geben. Ein positiver Effekt als Folge des tragischen Erdbebens, dass allerdings, so Kiaras-Attari Peyman, Analyst der Deutsche BankResearch in London, eher eine menschliche und weniger eine ökonomische Katastrophe war.

Abschied von populistischen Maßnahmen

Für Nervosität unter Investoren hat dagegen die Einführung einer Zinsabschlagsteuer zur Finanzierung der Erdbebenfolgen gesorgt. Ceros-Fondsmanager Ünal hält diesen Schritt für eine gute Sache, weil die Regierung damit das Budget und die IWF-Auflagen einhalten will. Zugleich bedeutet es, dass die Regierung Abschied nimmt von populistischen Maßnahmen und langfristiger denkt. "Das wird auch in der Bevölkerung zunehmend verstanden", glaubt Ünal. "Der Nachholbedarf durch die Zerstörungen, etwa be i Telekommunikation oder bei der Energieversorgung", beobachtet Ünal, "ist enorm."

Das verleiht den beiden Branchen nach Meinung von Ünal großes Potenzial. Darüber hinaus sei im Einzelhandel eine enorme Konzentration im Gange. Immer mehr Hypermärkte entstehen, während so genannte "Onkel-Mehmet-Läden", die bislang noch einen Marktanteil von 76 Prozent haben, zunehmend verschwinden. Favorit des Ceros-Managers ist der größte türkische Einzelhandelswert Migros.

Im Energiesektor besteht ein Investitionsbedarf von 150 Mrd. $, das auch viele ausländische Unternehmen anlocken werde, so Ünal. Ein aussichtsreicher Wert in diesem Sektor ist Tüpras, ein Mineralölunternehmen, das privatisiert werden soll.

Im Gegensatz zu Ünal setzt Deutsche-Bank-Manager Peymann auf Banktitel. Sein Favorit: Akbank, der zweitgrößte türkische Finanzdienstleister. Unter den Konsumwerten bevorzugt Peymann die Brauereigruppe Efes. Ein Hemmnis beim Engagement: Der Handel mit türkischen Papieren ist in Deutschland noch unterentwickelt. Im Berliner und Münchner Freiverkehr sind die Titel von Akbank und Efes erhältlich.

Allerdings war in der Vergangenheit die Liquidität nicht immer gegeben. Gehandelt werden oft nicht die türkischen Aktien selbst, sondern so genannte GDRs ("global depository receipts"). Diese "Ersatzpapiere" verbriefen Bezugsrecht auf Originalaktien und sind preiswerter als die Einführung an der deutschen Börse.