Freie Presse, 10.5.2000

Türkische Armee will Todesstrafe abschaffen

Demirel verlangt für EU-Beitritt ebenfalls Reformen

Die türkische Armee hat nach einem Zeitungsbericht die Abschaffung der Todesstrafe gefordert, um die Chancen für einen EU-Beitritt der Türkei zu verbessern. Diese Forderung sei Teil eines vom Militär ausgearbeiteten Maßnahmenpakets, berichtete die Zeitung "Milliyet" am Dienstag. Danach ist die Armee auch zu Verfassungsänderungen bereit, die ihre eigene Machtstellung schwächen würden. Der scheidende türkische Präsident Süleyman Demirel forderte am Dienstag ebenfalls zügige Reformen, um die Türkei auf den angestrebten EU-Beitritt vorzubereiten. Die Demokratisierung müsse vorangetrieben, die Menschenrechtslage verbessert und der Rechtsstaat gestärkt werden, sagte Demirel bei einer Rede in Ankara. Die Beibehaltung der Todesstrafe und der Einfluss der Armee auf die Politik sind zwei der Haupthindernisse bei der weiteren Annäherung der Türkei an die Europäische Union. Seit der Anerkennung der Türkei als EU-Bewerber im Dezember hat die EU deutlich gemacht, dass das Land noch einen gewaltigen Reformbedarf hat, bevor Aufnahmegespräche beginnen können. Die jetzt bekannt gewordenen Reformvorschläge der Armee sind die ersten konkreten Anregungen der türkischen Seite für Veränderungen in Kernbereichen.

Das Thema Todesstrafe ist in der Türkei innenpolitisch besonders wegen des zum Tode verurteilten Chefs der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, sehr umstritten. Die Entscheidung über eine Vollstreckung von Öcalans Todesurteil liegt derzeit auf Eis.

Zu den Vorschlägen der Armee gehört laut "Milliyet" auch eine grundlegende Reform des sogenannten Nationalen Sicherheitsrates, des wichtigsten Machtinstruments der Militärs. Die Generäle sind demnach mit einer Neuordnung des Gremiums einverstanden, die den zivilen Mitgliedern des Sicherheitsrates aus den Reihen der Regierung mehr Gewicht geben würde. Mit ihren Reformvorstellungen für Europa geht die Armee wesentlich weiter als die Regierung in Ankara, die in den vergangenen Monaten viele Reformvorhaben unerledigt liegen ließ. Einer der wichtigsten Europapolitiker, Menschenrechtsminister Mehmet Ali Irtemcelik, war aus Enttäuschung über diesen Stillstand am Wochenende zurückgetreten.

(AFP)