Basler Zeitung (CH), 10.5.2000

Ein Bombenanschlag mit Spätfolgen

Liess Iran einen türkischen Journalisten ermorden?

Istanbul. Mit der Festnahme von sieben Tatverdächtigen und weiteren Festnahmen in ihrem Umfeld scheint nicht nur ein seit sieben Jahren ungeklärter Mord an einem bekannten Journalisten in der Türkei vor der Aufklärung zu stehen. Es sammelt sich zugleich politischer Sprengstoff zwischen Ankara und Teheran an. Denn zwei der Hauptbeschuldigten, die als Kronzeugen fungieren wollen, beschuldigen das Mullah-Regime in Iran, Auftraggeber und Hauptakteur bei dem Mord gewesen zu sein.

Wie so häufig bei politischen Attentaten führte auch der Fall des in Ankara durch eine unter sein Auto gelegte Bombe getöteten Journalisten Ugur Mumcu zunächst zu einer Mixtur von Geheimdienst-Mafia-Terror-Verdächtigungen, gewürzt mit allen möglichen Spurenelementen und angereichert mit Gerüchten.

Angst vor Enthüllungen?

Da ist zunächst der Enthüllungsjournalist Ugur Mumcu selbst, der allen möglichen Gegnern ein Dorn im Auge sein konnte. Fleissig sammelte er Material und deckte einen Skandal nach dem anderen auf. Ausser in Büchern publizierte er in der «Gralshüterin» des linken Kemalismus, der Zeitung «Cumhuriyet» (Republik). Zu den Opfern seiner Enthüllungen gehören die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), islamistische Organisationen und die vor allem in den siebziger Jahren als Feinde der Linken aufgetretenen «Grauen Wölfe». Dazu kommen deren Beziehungen zur Mafia, zum Staatsapparat und zu ausländischen Geheimdiensten. Zu Mumcus Meisterleistungen gehörte sein Anteil an der Aufklärung des Attentates auf Papst Johannes Paul II. im Jahre 1981 und Enthüllungen über den rechtsradikalen Killer Abdullah Catli, der drei Jahre nach Mumcus Tod bei einem Autounfall an der Seite des Leiters einer Polizeischule und eines konservativen Abgeordneten starb - mit Diplomatenpass, Polizeiausweis und Waffenschein in der Tasche. Die Liste der potenziellen Attentäter, beziehungsweise Auftraggeber, war von Anfang an lang. Die mutmasslichen Attentäter, denen die Polizei durch Unterlagen, die bei der Zerschlagung der türkisch-kurdischen Hizbollah gefunden wurden, auf die Spur gekommen ist, haben Beziehungen in fast allen diesen Richtungen. Alle waren in den siebziger Jahren bei den «Grauen Wölfen». Yusuf Karakusch, dessen irgendwie in die Presse gelangten Aussagen im Moment die Hauptquelle sind, aus der türkische Zeitungen schöpfen, war bereits mehrfach im Gefängnis, einmal 12 Jahre, weil er zwei Gewerkschafter ermordet hat. Später wechselte er zu den militanten Islamisten. Zwei seiner Mitbeschuldigten sollen von den Russen in Tschetschenien als angebliche Agenten des US-Geheimdienstes CIA aufgegriffen und dann nach Verhandlungen mit dem türkischen Aussenministerium wieder freigelassen worden sein. Yusuf Karakusch behauptet nun, er sei in Iran unter anderem zum Bombenleger ausgebildet worden. Für den Mord an Ugur Mumcu hätten er und die anderen Türken 500 000 Dollar aus Iran erhalten. Auch die Materialien zum Herstellen der Bombe seien ihnen von den Iranern übergeben worden. Die Bombe hätten schliesslich drei Iraner am Auto von Mumcu angebracht, während er selber Schmiere gestanden habe. So weit die Aussagen von Karakusch, für die er auf Strafmilderung hofft.

Mullah-Regime nicht angegriffen

Die Frage ist indessen, ob der iranische Geheimdienst ein Motiv hatte, Ugur Mumcu zu beseitigen. Möglicherweise hatte er dies, denn schliesslich war Mumcu als Enthüllungsjournalist auch immer wieder militanten Islamisten in der Türkei und ihren Querverbindungen auf der Spur. Trotzdem war Mumcu nicht ein unmittelbarer Gegner des iranischen Regimes, aber wenn Yusuf Karakusch mit seinen Aussagen einen anderen Auftraggeber für den Mordfall decken wollte, so wäre eine Anschuldigung an die Adresse Irans der einfachste Weg. Jan Keetman