junge Welt, 09.05.2000

»Ruhe! Schluß mit denen«

Prozeß gegen »2. Friedens- und Demokratiegruppe der PKK« vor Istanbuler Staatssicherheitsgericht

Das unscheinbare Istanbuler Saatssicherheitsgericht liegt an historischem Ort und dazu noch sehr idyllisch: In direkter Nachbarschaft zur ehemaligen Sultansresidenz Dolmabahce am Bosporus-Ufer des Stadtteils Beyoglu meint man zunächst, vor einem Lager- oder Werkstattgebäude zu stehen. Doch die Absperrgitter und blau uniformierte, martialisch dreinblickende Polizisten belehren uns schnell eines besseren. Für den Paß, den wir abgeben müssen, erhalten wir eine Art nummerierte Eintrittskarte.

Der Prozeß beginnt mit erheblicher Verspätung. »Das ist üblich hier«, erklärt Irfan Dündar, der junge Anwalt, den wir begleiten. »Das DGM setzt für jeden Prozeß fünf Minuten an. Aber immer dauert es länger und so verschiebt sich der gesamte Tagesplan.« Wir haben Glück, der Prozeß beginnt mit nur einer Stunde Verspätung. Eine große Menschenmenge drängelt sich vor dem Verhandlungssaal: auffällig sind die vielen alten Frauen, die ungeduldig auf den Beamten an der Tür einreden. Ihre feingewebten schneeweißen Kopftücher weisen sie deutlich als Kurdinnen aus.

Der Verhandlungsraum ist vollgepackt mit Menschen: Die Richter sitzen etwas erhöht, vor ihnen hocken auf dem Boden unzählige Fotografen. Die Bank für die Angeklagten ist durch ein Holzgitter abgetrennt. Eng umgeben von Sicherheitsbeamten, Jandarma, und den dunkelblau uniformierten Spezialkräften, sind sie nicht zu sehen . Das Publikum im Saal sind einfache Leute, man sieht es an ihrer Kleidung. Sie kommen vom Land, Kurden und Kurdinnen, mehr Frauen als Männer. Man sagt, mehr als 50 Prozent der Istanbuler Bevölkerung seien kurdischer Herkunft. Seit Gründung der Türkischen Republik vor mehr als 75 Jahren sind ganze Generationen von Kurden aus ihrer Heimat in den Westen der Türkei geflohen oder vertrieben worden: vom Krieg und aus wirtschaftlicher Not.

Auch die fünf Angeklagten des heutigen Prozesses sind Kurden. Sie gehören zu einer achtköpfigen Gruppe, die zum 75. Gründungstag der Türkischen Republik von der Nationalen Befreiungsfront Kurdistans, ERNK, aus Europa in die Türkei geschickt worden waren. Sie sind Mitglieder der »2. Friedens- und Demokratiegruppe«. Drei weitere Mitglieder der Gruppe, darunter auch Angehörige des ehemaligen Kurdischen Exilparlaments, sind in Ankara inhaftiert und in einem gesonderten Verfahren angeklagt. Alle sind seit vielen Jahren politische Aktivisten der Arbeiterpartei Kurdistans, PKK. Zwei von ihnen, Aygül Bidav und Haydar Ergül, waren schon in Deutschland aufgrund ihrer politischen Arbeit für die PKK inhaftiert. Ergül wurde im März 1998 freigelassen, Bidav im Frühjahr 1999. Ihre Einreise in die Türkei am 28. Oktober 1999 war von der PKK als Zeichen des guten Willens gedacht und sollte die Einstellung des bewaffneten Kampfes unterstreichen. Wenige Wochen zuvor war bereits eine »1. Friedens- und Demokratiegruppe« von der Guerillaarmee der PKK aus den Bergen in die Türkei entsandt worden. Die türkische Regierung antwortete auf die Friedenszeichen nach altem Ritual: Die »Terroristen« wurden verhaftet und wegen Zugehörigkeit zu einer »bewaffneten Bande« sowie des Hochverrats angeklagt. Mit der ersten Gruppe wurde kurzer Prozeß gemacht, sie wurden zu hohen Haftstrafen verurteilt. Seit sechs Monaten ist nun die zweite Gruppe in Haft. Das Verfahren wird verschleppt. Dieser zweite Prozeßtag wird am Ende nicht länger als eine knappe halbe Stunde gedauert haben. Als Imam Canpolat im Namen der Angeklagten eine Erklärung verliest, wird er schnell vom Richter gestoppt. Canpolat, Herausgeber der Aleviten-Zeitschrift Zülfükar, trage Propaganda für die PKK vor, das werde er nicht zulassen. Der Versuch, weiterzusprechen, wird ein zweites Mal rüde unterbrochen. Der Richter gibt seine Entscheidung zu Protokoll. Aygül Bidav meldet sich zu Wort. Sie kritisiert die Entscheidung des Richters als falsch. Er wisse, daß die PKK ihren Friedensvorschlag der türkischen Regierung, der Militärführung und internationalen Stellen vorgelegt habe. Die heutige Erklärung sei nicht Propaganda, sondern beinhalte sieben Punkte des Friedensprojekts.

Die bekannte Rechtsanwältin Eren Keskin meldet sich zu Wort und protestiert im Namen der zahlreich vertretenen Rechtsanwälte dagegen, daß die Angeklagten ihre Verteidigungsrede nicht vortragen können. Damit sei das Recht auf Verteidigung eingeschränkt. Allen wäre bekannt, daß die Angeklagten der PKK angehörten, sie hätten kein Hehl daraus gemacht. Weiterhin fordere sie, den Haftbefehl gegen die Angeklagten aufzuheben. Es bestehe keine Fluchtgefahr, denn alle seien freiwillig in die Türkei eingereist. Auch eine Verdunklungsgefahr sei nicht gegeben, da sie offen ihre Absicht, legal in der Türkei politisch zu arbeiten, mitgeteilt hätten.

Der Richter nimmt alles zu Protokoll und vertagt den Prozeß auf Mitte Juni. Man wolle eine Entscheidung des Innenministeriums abwarten, ob auf die Angeklagten das Reuegesetz angewandt werden könne, sagt er. Vorher gebe es keine Entscheidung.

Als die Gefangenen von den Sicherheitskräften abgeführt werden, ertönen laut die Zilgit-Triller der kurdischen Frauen. »Baris, Baris!« rufen die Frauen und klatschen rhythmisch in die Hände. »Frieden, Frieden«. Die Jandarma wird unruhig, schiebt die Menschen zusammen und aus dem Raum hinaus. »Ruhe! Hier wird nicht gerufen«, schimpft der Richter von seiner Bank herunter. Es liegt nicht zuletzt auch an den türkischen Staatssicherheitsgerichten, daß der Weg zum Frieden in der Türkei so endlos lang ist.

Karin Leukefeld, Istanbul