Frankfurter Rundschau, 8.5.2000

Asylrecht verschärft, "Illegale" geschaffen

Experten setzen sich bei einer Tagung energisch für eine Legalisierungskampagne ein

Von Ingrid Müller-Münch (Mülheim)

Die Bundesregierung hat bei der Asylpolitik versagt. Seit der Verschärfung des Asylrechts ist die Zahl der in Deutschland lebenden "Illegalen" sprunghaft auf mindestens eine halbe Million Menschen gestiegen. So das Fazit einer Tagung der Bundesarbeitsgemeinschaft "Asyl in der Kirche".

Wäre der Kurde Yusuf D. in Deutschland untergetaucht, dann wäre er jetzt in der Türkei nicht Folter und Verhören ausgesetzt. Doch seit er Mitte Januar direkt aus dem westfälischen Ahlen abgeschoben wurde, lebt er auf der Flucht, hat Angst, hegt Selbstmordgedanken. Sofort nach seiner Ankunft wurde er inhaftiert, konnte fliehen, wurde erneut gefasst, misshandelt, freigelassen. Für den Sprecher der ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft, Wolf-Dieter Just, ist das eines von zahlreichen Beispielen rechtswidriger Abschiebungen. Sie belegten, "wie dringend Kirchenasyl gebraucht wird".

Yusufs Fall war für die Teilnehmer einer Tagung zum Thema "Rechte für Rechtlose - Schutz für Flüchtlinge in der Illegalität", die am Wochenende in der Evangelischen Akademie Mülheim/Ruhr stattfand, eine von zahlreichen Erklärungen dafür, warum so viele Menschen ein illegales Leben in Deutschland der Ausweisung in ihre ehemalige Heimat vorziehen. 64 Familien mit allein 294 Kindern leben derzeit im kirchlichen Asylschutz.

Allein 32 Gemeinden in Niedersachsen, 14 in Nordrhein-Westen und acht in den neuen Bundesländern haben ihnen Obdach gewährt. Weitaus mehr Gemeinden schützen still und statistisch nicht erfasste Flüchtlings-Familien. Zwei Pfarrer einer Kirchengemeinde in Braunschweig, die seit drei Jahren einer pakistanischen Familie Unterkunft gewähren, wurden jetzt wegen "täterschaftlichen Einschleusens von Ausländern" angeklagt. Krankenhäuser versorgen Patienten, die - sollten sie gemeldet werden - von den Ausländerbehörden aufgegriffen würden. Schulen unterrichten, wo sie eigentlich nicht dürften. Es gibt Ansätze für ein Netzwerk, das den vom Staat nicht geduldeten Menschen eine Grundversorgung sichert.

Die illegal hier lebenden Menschen sind den an der Tagung beteiligten Experten zufolge zum größten Teil Arbeitsimmigranten. Kirchen und Wohlfahrtsverbände haben eher mit abgelehnten Asylbewerbern zu tun, die aus Angst vor Abschiebung untertauchten - die erst "illegalisiert" wurden, wie es die Ausländerbeauftragte der Regierung, Marieluise Beck, formulierte.

So wie die afrikanische Familie, einst als Vertragsarbeiter in die DDR geholt. Mit ihren beiden Töchtern kann sie nicht zurück nach Äthiopien. Sie haben Angst, dass ihre Mädchen zwangsläufig der dort üblichen Genitalverstümmelung zum Opfer fallen. Kein Grund für Asylgewährung, Grund genug jedoch für die Familie, in Deutschland unterzutauchen. Ebenso wie die weiblichen Opfer der chinesischen Ein-Kind-Ehe, deren Eltern sie abgaben, damit sie noch einen Jungen bekommen können. Oft leben diese Mädchen jahrelang illegal bei Verwandten in Deutschland, jobben in Restaurants, besuchen keine Schulen. Erst durch Razzien fallen sie auf.

"Für diese Kinder brauchen wir ebenso eine großangelegte Legalisierungkampagne, wie für die Kinder von Straftätern, deren Aufenthaltsrecht an das der Eltern gekoppelt ist oder die auf der Flucht verlassenen Kinder", fordert Traudl Vorbrodt von der Berliner Härtefallkommission: "Und zwar jetzt und sofort. Denn welches Potenzial wir uns bei nicht ausgebildeten und nicht berufsfähigen Jugendlichen heranziehen, das wissen wir alle."