HANDELSBLATT, 8.5.2000

Neuer Rückschlag für die radikalislamischen Kräfte

Reformer um Präsident Chatami gewinnen Stichwahl in Iran

ap TEHERAN. Die Reformer in Iran haben bei der Stichwahl für das iranische Parlament einen weiteren Sieg errungen. Die größte Reformpartei, die Islamisch-Iranische Beteiligungsfront, erklärte am Samstag, Reformkandidaten hätten 52 der 66 zur Wahl stehenden Sitze gewonnen. Das staatliche Radio Teheran berichtete, die Auszählung aller Stimmen sei beendet. Der von Hardlinern dominierte Wächterrat muss die Ergebnisse noch bestätigen. Wenn dies geschieht, kontrollieren die Reformer ab dem 27. Mai erstmals seit der Islamischen Revolution 1979 das Parlament.

Das Ergebnis ist nach der Niederlage bei der ersten Runde der Parlamentswahl im Februar ein weiterer Rückschlag für die radikalislamischen Kräfte in Iran. Bei der Wahl im Februar hatten die Reformer um Präsident Mohammed Chatami eine absolute Mehrheit der insgesamt 290 Sitze in der Medschlis errungen. In der Zwischenzeit annullierte der Wächterrat jedoch zwölf Wahlsiege von Verbündeten Chatamis und erkannte einige Ergebnisse noch nicht an, so dass sie nur noch über 120 Sitze verfügten. Der Termin für weitere Nachwahlen in Bezirken, deren Ergebnisse annulliert wurden, ist noch nicht bekannt.

Auch in der Hauptstadt Teheran wurde am Freitag nicht gewählt. Der Wächterrat hat die dortigen Ergebnisse der Februarwahl, bei der die Reformer in der ersten Runde 29 von 30 Sitzen gewannen, noch nicht anerkannt. Am Sonntag teilte der Rat mit, bei einer erneuten Zählung der Stimmen seien einige Unregelmäßigkeiten in mehr als zehn Prozent der überprüften Urnen entdeckt worden.

Bei den Nachwahlen am Freitag hätten die Reformer 80 % der Stimmen erhalten, erklärte ein Sprecher der Beteiligungsfront, Mohsen Pirsadeh. Zehn Sitze gingen an radikalislamische, vier an unabhängige Kandidaten. Der Vorsitzende der Partei, Mohammedresa Chatami, der Bruder des Präsidenten, bezeichnete das Ergebnis als eine klare Botschaft an die Menschen, die in den vergangenen Monaten versucht hätten, die Regierung mit illegalen Mitteln zu schlagen. Er hoffe, dass jeder sich nun dem Wille des Volkes beuge.

Einige Hardliner bezeichneten das Wahlergebnis der Tageszeitung "Bayan" zufolge als eine Schande. Laut dem Bericht äußerten sie Befürchtungen, dass die neue Medschlis Institutionen wie den Wächterrat abschaffen könnte. Die Reformer hingegen fürchten, dass das harte Vorgehen der Institutionen gegen Reformkräfte Auseinandersetzungen provozieren könnte. Die von Hardlinern dominierte Justiz schloss in den vergangenen Wochen 16 reformorientierte Zeitungen und ließ liberale Aktivisten festnehmen. Die fundamentalistisch orientierten Tageszeitungen ignorierten den Wahlerfolg der Reformer am Sonntag weitgehend.