Badische Zeitung, 6.5.2000

Der Grüne Cem Özdemir will verbindliche Sprachkurse für alle Einwanderer / Gültiges System birgt große Ungerechtigkeiten

Vokabeln sind wichtiger als der deutsche Pass

Von unserer Redakteurin Eva Keller

FREIBURG. Verbindliche Sprachkurse für alle Ausländer, die nach Deutschland kommen, hat der Grüne Cem Özdemir vor kurzem gefordert. Wer den Kurs nicht belegt, soll keine Arbeitserlaubnis erhalten - schließlich müssten auch die Einwanderer Willen zur Integration zeigen. Sprachkurse vom ersten Tag an, wie Özdemir sie vorschlägt, sind sowohl im Interesse des Aufnahmelands Deutschland als auch der Einwanderer. Die Schwierigkeiten junger Aussiedler aus Kasachstan, in Deutschland Fuß zu fassen, zeigen sehr deutlich, dass der deutsche Pass alleine nicht viel nützt: Auch sie kämpfen mit der deutschen Sprache - und deshalb auch um Lehrstellen.

Anspruch auf einen Sprachkurs haben heute längst nicht alle, die aus anderen Ländern nach Deutschland kommen: nicht der Flüchtling aus Nigeria, nicht die brasilianische Ehefrau eines Deutschen - nicht mal der Asylberechtigte. Anspruch haben dagegen Aussiedler, außerdem Zugezogene aus den EU-Staaten und aus den früheren Anwerbeländern der Bundesrepublik (wie Türkei und Italien) und der ehemaligen DDR (wie Mosambik und Vietnam). Die Folge dieser Eingrenzung ist, dass in Großstädten wie Frankfurt fast die Hälfte aller Ausländer aus der Sprachförderung fällt.

Eine weitere Ungleichbehandlung: Während Aussiedler zwischen 900 und 1000 Unterrichtsstunden erhalten, pauken die übrigen Einwanderer nur rund 300 Stunden lang deutsche Vokabeln und Grammatik. "Um die deutsche Sprache zu lernen, braucht es mindestens 600 Stunden", schätzt Gerhard Fiedler vom Sprachverband in Mainz.

Der Sprachverband koordiniert im Auftrag der Bundesregierung die Sprachkurse für alle Einwanderer, die keine Aussiedler sind. Mit einem Budget von 32 Millionen Mark finanzierte er in 1998 rund 8000 Sprachkurse von 450 Trägern, von den Volkshochschulen über die Arbeiterwohlfahrt bis zum türkischen Verein. 60'000 Kursteilnehmer wurden in 1998 gezählt - doch im selben Jahr wanderten mehr als 200'000 "Berechtigte" ein.

Zwei Drittel der Sprachschüler sind Frauen. Während Männer meist auf der Arbeit Deutsch lernen, sind viele Frauen wegen der Kinder ans Haus gebunden. Dies gefährdet die Integration: So bewegen sich viele Türkinnen in ihrem sicheren Umfeld von Markt, Familie und Moschee; die Kinder finden zu Hause keine deutschen Zeitungen und Bücher - und keine Hilfe beim Deutschlernen.

In Frankfurt, München und Berlin können Frauen in dem Projekt "Mama lernt Deutsch" Versäumtes nachholen. Oft tun sie dies Jahre nach ihrer Ankunft - wenn die Kinder, ihre Dolmetscher, aus dem Haus sind. Solchen Biografien möchte Özdemir vorbeugen: Vom ersten Tag an sollen Einwanderer Sprach- und Integrationskurse besuchen.

An einem neuen - nicht ganz so weit gehenden - Sprachkonzept arbeiten derzeit Arbeits- und Familienministerium. Es soll die Ungleichbehandlung unter den Ausländern verschiedener Herkunft aufheben und die Kurse künftig nach Sprachniveaus unterscheiden: Geplant ist eine Basisförderung mit 600 Stunden für alle, eine Aufbauförderung für junge Einwanderer mit 300 Stunden und ein kürzerer Kurs für erwachsene Spätaussiedler. Die Ausländer sollen den Kurs innerhalb von drei Jahren in Anspruch nehmen dürfen.

Ende Mai werden die Staatssekretäre der beiden Ministerien entscheiden, ob das Konzept so dem Parlament vorgelegt wird. Dort wird dann Özdemir für seine Idee eintreten, die Sprachkurse verbindlich zu machen. Die Fraktion der Grünen weiß er jedenfalls hinter sich.