taz 6.5.2000

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Das Schweigen der Reformer

Irans Refomer halten sich zurück. Seit Wochen gehen die konservativen Gegner des modertanten Präsidenten Mohammad Chatami in die Offensive, und dessen Anhänger mahnen allenfalls zur Besonnenheit. Sie fürchten, dass die Konservativen die Konstuierung des neuen Parlaments am 27. Mai verhindern. Denn das wird fast ausschließlich von Reformern besetzt sein. Gestern begannen die Stichwahlen um die Vergabe der letzten 66 von insgesamt 290 Sitzen. Beim ersten Wahlgang am 18. Februar hatten Reformkandidaten bereits eine absolute Mehrheit erreicht - ein Fiasko für die Konservativen. Die reagierten mit aller ihnen zur Verfügung stehenden Macht. Fast alle reformorientierten Zeitungen wurden verboten, prominente Vertreter der Reformbewegung verhaftet. Einen wohlfeilen Anlass für einen weiteren Schlag gegen die Reformbewegung bot eine Veranstaltung der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung Anfang April in Berlin. Die Tagung war von linken Exiliranern massiv gestört worden. Im iranischen Fernsehen war daraufhin ein manipulativ zusammengeschnittener Beitrag erschienen, in dem die in Berlin aufgetretenen iranischen Reformer mit den Protestierern in einen Topf geworfen wurden. Die konservative Presse verunglimpfte sie als "Feinde des Islam". Teilnehmer der Veranstaltung wurden nach ihrer Rückkehr in Teheran verhaftet. Die Rechtsanwältin Merengis Kar, die Verlegerin Schahla Lahidschi, der Studentenvertreter Ali Afschari und der Journalist Akbar Gandschi sitzen immer noch im Gefängnis. Andere Teilnehmer der Konferenz zogen es deshalb vor, in Europa zu bleiben. Unter ihnen auch der Hassan Jussefi Eschkevari (50). Gegen den Geistlichen im Range eines Hodschatolislam liegt in Teheran ein Haftbefehl vor.

THOMAS DREGER