Süddeutsche Zeitung, 6.5.2000

Parlament einigt sich auf Nachfolger von Süleyman Demirel

Ahmet Sezer neuer Präsident der Türkei

Vorsitzender des Verfassungsgerichts erhält im dritten Wahlgang komfortable Mehrheit

Von Wolfgang Koydl

Istanbul - Der Verfassungsrichter Ahmet Necdet Sezer ist neuer türkischer Staatspräsident. Das Parlament in Ankara wählte den bisherigen Vorsitzenden des Verfassungsgerichtes im dritten Wahlgang mit 330 Stimmen. Damit übertraf er die erforderliche einfache Mehrheit von 276 der 550 Abgeordneten bei weitem. An zweite Stelle kam der Kandidat der islamistischen "Fazilet "-Partei, Nevzat Yalcintas, mit 113 Stimmen; dritter wurde Staatsminister Sadi Somuncioglu von der "Partei der Nationalistischen Bewegung" mit 43 Stimmen.

Der neue Staatspräsident, der im Gegensatz zu seinem Vorgänger Süleyman Demirel weder über politische Erfahrung noch über große Kenntnis des Auslands verfügt, soll am 16. Mai vereidigt werden. Dann endet die siebenjährige Amtszeit Demirels, der 40 Jahre lang in verschiedenen Funktionen - sieben Mal als Regierungschef und als Oppositionsführer - das Schicksal der Türkei mitbestimmt hatte. Der 76-Jährige hat allerdings angedeutet, dass er sich nicht aufs Altenteil zurückziehen, sondern in die aktive Politik zurückkehren will.

Die Wahl Sezers war so gut wie sicher, nachdem am Freitagvormittag ein weiterer Kandidat seine Bewerbung zurückgezogen hatte. Dogan Güres, ehemaliger Generalstabschef und enger Vertrauter der früheren Ministerpräsidentin Tansu Ciller, teilte mit, dass er nicht länger für das höchste Staatsamt kandidieren werde. Damit waren nur noch fünf Bewerber im Rennen. Auch Parlamentspräsident Yildirim Akbulut, dem zunächst als einzigem Chancen eingeräumt wurden, Sezer den Sieg streitig machen zu können, hatte sich zurückgezogen. Im ersten Wahlgang Ende April hatten sich noch zehn Abgeordnete um die Stimmen der Volksversammlung bemüht, im zweiten Wahlgang am vergangenen Montag war ihre Zahl bereits auf sieben gesunken.

Regierungschef Bülent Ecevit, der den Vorsitzenden des Verfassungsgerichtes als gemeinsamen Kandidaten seiner Regierungskoalition und der beiden im Parlament vertretenen Oppositionsparteien durchgesetzt hatte, zeigte sich vor Beginn der Abstimmung zuversichtlich: "Es wird gut ausgehen", erklärte er auf Fragen nach dem voraussichtlichen Wahlausgang.

Verhaltene Kritik an dem neuen Staatschef kam jedoch vom zweitgrößten Koalitionspartner, der nationalistischen MHP. "Als Verfassungsgerichtspräsident gab Sezer verschiedene Meinungen ab", zitierte die Zeitung Hürriyet den MHP-Vorsitzenden Devlet Bahceli. "Aber als Präsident werden seine Ansichten die Ansichten des Staates sein müssen. Nach der Überzeugung politischer Beobachter bezog sich Bahceli damit auf eine Rede Sezers, in welcher er verhalten einen größeren Schutz der Meinungsfreiheit angemahnt hatte. In einer Ansprache kurz nach seiner Nominierung hatte der Richter zudem eine Verfassungsreform befürwortet und sich für eine Beschränkung der Vollmachten des Staatsoberhauptes ausgesprochen.

Die Wahl des neuen Staatspräsidenten hat die Arbeit des Parlaments seit vier Monaten blockiert. Zunächst hatte Ecevit versucht, mittels einer Verfassungsänderung Demirel zu einer weiteren Amtszeit zu verhelfen. Dies war von den Abgeordneten abgelehnt worden. Es wird erwartet, dass vor Beginn der Sommerpause weitere wirtschaftliche Reformen angepackt sowie notwendige Vorbereitungen für Verhandlungen mit der EU unternommen werden.