Die Presse (A), 5.5.2000

Gegenoffensive der Mullahs überrollt das Reformlager im Iran

Die Konservativen setzen alles daran, den Prozeß der Öffnung zu blockieren.

Die Analyse von Jan Keetman (Teheran)

Das Reformlager im Iran könnte den Stichwahlen, die am heutigen Freitag nach mehrfacher Verzögerung stattfinden, beruhigt entgegensehen. Denn nach seinem überwältigenden Wahlerfolg im Februar hat es 175 der 290 Parlamentssitze sicher. Doch die letzten Wochen haben deutlich gezeigt, wer wirklich die Macht im Lande hat - sei es mit, sei es ohne Parlamentsmehrheit. Ausgelöst hatte die Gegenoffensive der Mullahs eine Tagung der den Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin Anfang April. Titel der Konferenz: "Der Iran nach den Parlamentswahlen. Die Reformdynamik der islamischen Republik". Die im iranischen Fernsehen übertragenen Sequenzen ließen in Teheran die Wogen hochgehen. Mehrere Teilnehmer, darunter auch die Frau des Kulturministers und Abgeordnete Jamile Kadiwar, müssen sich deswegen vor einem Revolutionsgericht verantworten. Entscheidend war jedoch der verbale Angriff des religiösen Führers Ali Khamenei auf die Reformpresse, bei dem er klarstellte, was als Reform diskutiert werden darf und was nicht. Demnach sind die bei der Jugend unpopulären Bekleidungsvorschriften ebenso tabu wie eine Unterordnung der religiös geprägten iranischen Institutionen unter demokratisch legitimierte Institutionen. Im Klartext: Reformen ja, Veränderungen nein. Die Worte des religiösen Führers waren der konservativen Justiz Befehl, und handstreichartig war die gesamte Reformpresse kurz vor der Stichwahl hinweggefegt. Dabei gab es keinen Pardon, auch nicht für Reza Khatami, den Bruder des Präsidenten Mohammed Khatami und souveränen Wahlsieger in Teheran. Seine Zeitung "Moscharekat" wurde ebenso verboten. Daß sich der Präsident selbst im Fernsehen für die Pressefreiheit einsetzte, hatte keinen Einfluß auf den Gang der Ereignisse. Der Vorstoß der Konservativen brüskiert zudem die USA, die mit ihren Entspannungssignalen, etwa der Lockerung der Sanktionen, die Reformkräfte zu unterstützen suchten. In der "New York Times" tauchten Dokumente auf, die bestätigten, was ohnehin alle wußten: Die CIA habe 1953 den nationalistischen iranischen Präsidenten Mosadegh gestürzt und den Schah wieder an die Macht gebracht. Mag sein, daß diese Entspannungssignale viele iranische Konservative zusätzlich beunruhigt haben. Die Feindschaft zum "großen Satan" USA gehört schließlich zum ideologischen Rüstzeug. Für den Spionageprozeß gegen 13 jüdische Iraner (und acht Moslems) in Schiras ist all dies ein denkbar schlechtes Umfeld. Das Verfahren ist ohnedies von zahlreichen Ungereimtheiten begleitet. Obgleich der Prozeß nicht öffentlich ist, legte einer der Angeklagten sein Geständnis vor einer Kamera des iranischen Fernsehens ab. Endet der Prozeß von Schiras mit Todesurteilen oder gar Hinrichtungen, so wird die internationale Öffentlichkeit dies als Ausdruck des Antisemitismus sehen und dagegen Sturm laufen - eine außenpolitische Konfrontation würde den Konservativen innenpolitisch jedoch nur nützen. Andererseits gefährdet gerade der internationale Druck im Vorfeld der Entscheidung das Leben der Angeklagten: Es wird schwer sein, sie freizusprechen, ohne den Eindruck zu vermitteln, man beuge sich dem Druck von außen. Freilich ist die Sache der Reformer nicht ganz verloren. Anstelle der verbotenen Zeitungen lassen sich wie in der Vergangenheit wieder neue Blätter herausbringen, das neue Parlament bedeutet einen - begrenzten - Machtzuwachs. Die Zahl der Konservativen schrumpft selbst in den Reihen der Geistlichen, von denen nicht wenige meinen, daß ein Festhalten an der politischen Macht auf Dauer auch der Religion schaden wird