Kölner Stadtanzeiger, 3.5.2000

Redaktionsgespräch mit dem Außenminister

Fischer: Mehr Verantwortung für Deutschland

Außenminister Joschka Fischer antwortet allen, die ihn für amtsmüde, frustiert oder zu dick halten

Von Klaus Bohnhof

Kritik war in jüngster Zeit wahrlich keine Mangelware. Joschka Fischer, der Außenminister aus den Reihen der Grünen, vernachlässige die Beziehungen zu Polen, hieß es. Er werfe den deutsch-französischen Motor nicht an, um die Europäische Union wieder in Fahrt zu bringen.

Er sei zu zurückhaltend gegenüber dem amtierenden russischen Präsidenten Wladimir Putin und mache diesem nicht genügend schwere Vorwürfe wegen des Tschetschenien-Krieges. Fischer sei amtsmüde, ja sogar: Er werde zu dick.

Joschka Fischer zu Besuch im Neven DuMont Haus in Köln: Es tritt alles andere als ein lustloser, frustrierter oder emotionsfreier Politiker an. Im Gespräch mit Alfred Neven DuMont, dem Herausgeber des "Kölner Stadt-Anzeiger", und Mitgliedern der Redaktion präsentiert sich vielmehr ein leidenschaftlicher, engagierter Außenminister. Die Lust an der Diskussion, auch am Disput ist ihm keineswegs vergangen.

Und die Frage nach etwa zunehmender Körperfülle beantwortet er umgehend mit der Aufforderung, doch mit ihm ins Rennen zu gehen. Der Marathon-Mann weiß, wovon er spricht.

Doppelbelastung

Kritik nimmt Fischer in aller Gelassenheit auf. Von Amtsmüdigkeit will er partout nichts wissen, weist freilich auf die Doppelbelastung als Minister und als Politiker der Grünen hin. Wer wollte es ihm verdenken, dass er das Ende seiner Amtszeit nicht gern mit sechs Bypässen erleben möchte - wie mancher Vorgänger im Amt?

Immerhin freut er sich auf eine sehr fruchtbare und zugleich spannungsreiche Arbeit im Auswärtigen Amt - spannungsreich im positiven Sinne, wie er unterstreicht. Auch sein Ressort leide natürlich unter dem Spardiktat, was er jedoch als Mitglied der Bundesregierung mit trage. Er halte sich kein "Küchenkabinett" weniger Auserwählter, sondern setze auf Leistung wie auf Loyalität.

Zugleich ist er aber auch ein Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen. Was aber ist denn eigentlich grüne Außenpolitik? Kann er Vorstellungen seiner Partei durchsetzen?

Grüne Außenpolitik, das ist nach seinen Worten Friedenspolitik, in der Konflikte gelöst werden, bevor sie ausbrechen. Und da kommt er zu den heiklen Themen Kosovo und Tschetschenien. In den ersten Konflikt haben die Europäer - und die USA natürlich - militärisch eingegriffen, obwohl das vielen Mitgliedern und Anhängern der Grünen viel zu weit ging; im zweiten Fall musste man sich auf Wortgefechte beschränken.

Joschka Fischer fühlt sich deswegen zu Unrecht attackiert. An Kritik von seiner Seite an Moskau habe es keinesfalls gefehlt, sagt er im Gespräch und setzt hinzu, Deutschland oder auch die EU insgesamt besäßen doch überhaupt nicht die Mittel, um Russland davon abzubringen, in Tschetschenien eine humanitäre Katastrophe anzurichten. Stets habe er eine politische statt einer militärischen Lösung verlangt. Fischer: "Welche Instrumente haben wir schon?"

"Der Südosten ist ein Teil Europas", definiert der Minister den Wirkungsbereich der Europäischen Union auf dem Balkan. Sich dort zu engagieren sei nicht zuletzt eine Herausforderung für die europäische Integration, die daran gemessen werde, wie sie mit solchen Problemen fertig werde.

Und Fischer engagiert sich: Ohne ein Eingreifen der Nato im Kosovo wäre Osama Bin Laden, der arabische Multimillionär und mutmaßliche Förderer des Terrorismus, heute in den Flüchtlingslagern der jugoslawischen Provinz aktiv. Eine Talibanisierung habe dort gedroht, Zustände wie in Afghanistan mithin.

Als nächstes wäre nach Fischers Auffassung Mazedonien verloren gegangen - in einer Art fünftem Erbfolgekrieg nach dem Zerfall Jugoslawiens. Eine Neuauflage neofaschistischer großserbischer Politik habe unbedingt vereitelt werden müssen. Die Antwort auf die Frage, welche Konsequenzen aus dem Zweiten Weltkrieg gezogen werden müssen, heiße nun einmal: "Nie wieder Auschwitz".

"Was war denn die Alternative?", rechtfertigt der Minister die Militäraktion. Die EU habe sich keineswegs militarisiert, doch ohne militärischen Druck hätte sie keine Verhandlungen erzwingen können. Nationale Probleme dürften eben nicht mit den Mitteln der zwanziger und dreißiger Jahre angegangen werden. Dem setzt Fischer den Stabilitätspakt entgegen, mit dem die EU auch den Balkan-Staaten eine langfristige Integrationsperspektive anbiete.

Mit dem jugoslawischen Staatschef Slobodan Milosevic werde man politisch wohl noch einige Zeit leben müssen, der Außenminister ist sich freilich sicher: "Aber nicht so lange, wie viele glauben." Und hoffnungsvoll verwies er auf die sich abzeichnende Wende in Kroatien nach dem Tod von Franjo Tudjman. Aus diesem Land waren bereits zaghafte Wünsche nach einem Beitritt zur EU zu vernehmen.

Der Gast spricht von "Emotionalisierungsthemen" und zählt dazu auch den Wunsch der Türkei, in die EU aufgenommen zu werden. Ein vor allem in Deutschland sehr umstrittenes Verlangen. Fischer legt sich ins Zeug: Von einem Beitritt sei die Türkei nach wie vor weit entfernt, immerhin aber habe der Entschluss der EU, ihr den Kandidatenstatus zuzugestehen, bewirkt, dass Ankara eine neue, aufgeschlossenere Politik in der Ägäis betreibe.

Einen Seitenhieb bekommt die Vorgängerregierung ab. Schließlich, so der Minister, habe man das Problem von Helmut Kohl geerbt. Dieser habe das griechische Ultimatum akzeptiert, dass Zypern zu den Beitrittskandidaten zählen müsse. Ohne die Türkei aber, darf sich Fischer sicher sein, kann die Zypern-Frage nicht entschieden werden.

Emotionsgeladen ist auch das Thema der Sanktionen von 14 EU-Staaten gegen Österreich wegen der FPÖ-Beteiligung an der dortigen Regierung. Fischer war und ist mit Bundeskanzler Wolfgang Schüssel per Du, ebenso mit Außenministerin Benita Ferrero-Waldner; ein Handschlag mit beiden ist für ihn selbstverständlich.

Indes: In Belgien und Frankreich, Staaten mit starken rechtsextremen Parteien, falle die Reaktion auf Jörg Haider eben weit schärfer aus. Und Fischer setzt warnend hinzu, wenn Berlin hier nicht mit den anderen an einem Strang gezogen hätte, wäre ihm der Fall Haider sofort als deutsches Problem aufgehalst worden. Das Verhältnis zu Frankreich wäre zerrüttet gewesen.

Fischer befürchtet in diesem Fall gar eine Spaltung der Europäischen Gemeinschaft. So bleibe es eine Art Familienangelegenheit, was letztlich Österreich sogar nütze.

Aus der Führungsdiskussion der Grünen will Fischer sich heraushalten - er hat da zuletzt schlechte Erfahrungen gemacht. Doch er betreibt in diesen Tagen natürlich Wahlkampf kurz vor dem Urnengang in NRW. Die Chancen seiner Partei stuft er mit "gut bis sehr gut" ein. Ein Bündnis mit der CDU in Düsseldorf ist deshalb für ihn derzeit kein Thema.

Zum Thema Euro plädierte er für die "notwendige Gelassenheit". Lieber lobt er Ministerin Andrea Fischer wegen ihrer Bemühungen um die Gesundheitsreform sowie in der Umweltpolitik - "mit einem sehr schwierigen Koalitionspartner" - die Ökologisierung des Steuersystems, ferner die seiner Ansicht nach hervorragende Arbeit von Minister Jürgen Trittin beim Atomausstieg.