HANDELSBLATT, 3.5.2000

Vor der zweiten Runde der Parlamentswahlen geraten die Reformer um Präsident Chatami in Bedrängnis

Irans Konservative proben eine neue Strategie

Die innenpolitische Situation in Iran wird immer brisanter. Zwar haben sich die oppositionellen Volksmudschaheddin zu dem jüngsten Anschlag auf Angehörige des Staatssicherheitsdienstes bekannt. Es ist aber auch möglich, dass es sich dabei um eine bewusste Provokation konservativer Kräfte handelt.

bce NICOSIA. In Teheran heizt sich die Spannung stetig auf. Einer Serie von Verhaftungen führender Reformer und den Verboten liberaler Zeitungen folgten jetzt blutige Anschläge einer iranischen Oppositionsgruppe auf den Staatssicherheitsdienst. Dabei sollen am Montag Dutzende von Geheimdienstmitarbeitern verletzt oder getötet worden sein. Das teilte das Büro Köln der Volksmudschaheddin am Dienstag mit.

Nach diesem Anschlag wurde ein Raketenangriff auf ein Wohnviertel in Bagdad gemeldet, bei dem acht Menschen verletzt worden sein sollen. Die amtliche irakische Nachrichtenagentur Ina machte iranische Agenten für die Attacke verantwortlich.

Irans Streitkräfte pflegen Aktionen gegen iranische Institutionen immer wieder mit Angriffen auf irakisches Territorium zu beantworten, da Bagdad den Volksmudschaheddin offensichtlich Unterschlupf gewährt und Trainingsmöglichkeiten im Grenzgebiet zu Iran zur Verfügung stellt. Die Mudschaheddin, von den USA als Terrorgruppe eingestuft, wollen das islamische Regime durch Gewalt stürzen. Sie besitzen aber heute nicht zuletzt wegen ihres brutalen Vorgehens, ihrer Ideologie und ihrer Zusammenarbeit mit dem einstigen irakischen Kriegsgegner in Iran selbst keinerlei Rückhalt und Glaubwürdigkeit mehr.

Informierte Kreisen in Teheran bezweifeln aber, ob tatsächlich die Mudschaheddin hinter den Anschlägen in Teheran stehen. Solche Attacken könnten vielmehr Teil eines Komplotts gegen Präsident Mohammed Chatami sein, das dem konservativen Establishment die Macht retten soll. Unabhängige Journalisten in Teheran erhielten Zugang zum Protokoll einer Geheimsitzung, bei der in der vergangenen Woche führende Angehörige der Revolutionsgarden, der von den Konservativen geführten Parallelarmee, und des weitgehend ebenfalls von Konservativen dominierten Geheimdienstes eine Strategie gegen die Reformer erarbeitet hatten.

Einschüchterung von Studentenführern

Nach dem überwältigenden Sieg der Chatami unterstützenden Gruppierungen bei den Parlamentswahlen im Februar haben die Gegner des Präsidenten nun offenbar beschlossen, eine weitere Ausweitung der Macht der Reformer zu stoppen. Der Zeitpunkt ist kritisch, denn am kommenden Freitag soll die zweite Wahlrunde über die endgültige Zusammensetzung Parlaments entscheiden. Dabei geht es den Konservativen darum, diese wichtige Bastion der Macht doch noch für sich zu retten.

Beobachter in Teheran sprechen von einem "versteckten Putsch" gegen Chatami, dessen erste Phase bereits begonnen habe. Nach der in der Geheimsitzung von Revolutionsgarden und Geheimdienst diskutierten Strategie soll zunächst die liberale Presse völlig geknebelt werden, was bereits weitgehend gelungen ist. Damit verliert Chatami seine wichtigste Verbindung zu seiner eigentlichen Macht, dem Volk.

Dem Schlag gegen die Presse sollen dann massive Einschüchterungen bzw. die Ausschaltung führender Reformer folgen. So wurde am vergangenen Wochenende der Chef der größten islamischen linken Studentenorganisation, Ali Afshari, unter dem Vorwurf verhaftet, Anfang April an einer Iran-Konferenz in Berlin teilgenommen zu haben, die von Exiloppositionellen empfindlich gestört worden war. Auch andere Teilnehmer dieser Konferenz sind in Haft.

Die Ausschaltung Afsharis ist von besonderer Bedeutung, da die Konservativen damit massive Studentendemonstrationen verhindern könnten, wie sie im Juli 1999 nach dem Verbot einer führenden Reformzeitung das Regime erzittern ließen. Afshari besitzt beträchtlichen Einfluss auf breite Teile der Studenten, die sich als die für die Konservativen gefährlichste Kraft erweisen könnten. Dem Schlag gegen die Presse und gegen führende Reformer soll laut Geheimprotokoll eine bewusste Gefährdung der Sicherheit des Landes folgen. Danach sollen vor allem in die Provinzen Provokateure eingeschleust werden, die Unruhe stiften und damit den Sicherheitskräften den Vorwand liefern sollen, zur Rettung der Stabilität hart gegen die Bevölkerung vorzugehen. Vor diesem Hintergrund können Chatamis Beteuerungen vom Wochenende, der Reformprozess sei nicht zu stoppen, kaum überzeugend wirken.